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Den Bildern vertrauen

WELTKINO Die seltene Gelegenheit, die schönsten Filme aus Cannes und von anderen Festivals in Berlin zu sehen, bietet „Around the World in 14 Films“ im Babylon. Zum Beispiel von Lisandro Alonso aus Argentinien

Ein sturer Fischer lehnt sich in „Leviathan“ gegen die politische Obrigkeit auf

VON ANDREAS BUSCHE

Der Dezember ist traditionell die Zeit der Bestenlisten. Die Frage, ob die zurückliegenden zwölf Monate ein guter Jahrgang waren, spaltet Filmkritiker und Publikum. Aber welche Kriterien sind für die Güteklasse eines Kino-Jahrgangs ausschlaggebend? Die Qualität einzelner herausragender Filme, die Verlässlichkeit der üblichen Verdächtigen des Weltkinos oder die Zahl der Neuentdeckungen? Nimmt man das jährliche Festival „Around the World in 14 Films“ zum Maßstab, liegt jedenfalls der Schluss nah, dass 2014 ein ganz ausgezeichnetes Jahr gewesen sein muss.

Die neunte Ausgabe des Berliner Weltkinofestivals (im Babylon Mitte, 28. 11. bis 7. 12. 2014) ist so gut und prominent bestückt wie nie zuvor. Zwanzig Filme sind es diesmal sogar, wobei auffällig ist, dass allein acht Filme ihre Premiere in Cannes erlebten. Möglicherweise sagt „Around the World in 14 Films“ also mehr über die Qualität von Cannes 2014 aus als über den Zustand dieses sogenannten Weltkinos. Die Leistung der Organisatoren soll das nicht schmälern.

In vielen Fällen wird das Festival die einzige Chance sein, die Filme in einem Berliner Kino zu erleben. Insofern zeigt „Around the World in 14 Films“ auch die Schwächen der deutschen Verleihlandschaft auf. Denn es ist absolut unverständlich, dass Filme wie Lisandro Alonsos „Jauju“ oder „Stray Dogs“ des taiwanesischen Regiemeisters Tsai Ming-Liang voraussichtlich nicht regulär in die Kinos kommen werden.

Paradies ohne Rückkehr

Besonders der Argentinier Alonso, einer der maßgeblichen Formalisten im aktuellen Weltkino, ist ein bedauerlicher Schadensfall dieser Verleihpolitik. „Jauju“ verbindet den strengen Minimalismus seiner früheren Filme mit einem Hang ins Mythische. Der Titel seines Films bezeichnet der Legende nach einen paradiesischen Ort, von dem kein Reisender je zurückgekehrt ist. Viggo Mortensen spielt einen dänischen Soldaten im späten 19. Jahrhundert, der sich zusammen mit seiner Tochter in der malerischen Landschaft Patagoniens verlieren wird. Das ungewöhnliche Bildkader im alten Academy-Format (mit den abgerundeten Ecken) steht dabei im schönen Kontrast zu den unwirklich leuchtenden Farben des Films. Das schönste Kinorätsel im diesjährigen Programm.

Ähnlich episch inszeniert Andrey Zvyagintsev im russischen Beitrag (und heutigen Eröffnungsfilm) „Leviathan“ die unwirtliche Natur am nördlichsten Zipfel Europas, wobei seine Bildgewalt nur noch vom Pessimismus seiner Gesellschaftsdiagnose übertroffen wird. Ein sturer Fischer lehnt sich gegen die politische Obrigkeit auf, die ihm aus Profitgier seinen Familienbesitz wegnehmen will, und lernt die Rücksichtslosigkeit der herrschenden Klasse kennen. Zvyagintsev vertraut etwas zu sehr auf seine Bilder statt auf eine klare Analyse – im Amtszimmer des Bürgermeisters wird das Porträt Putins prominent in Szene gesetzt –, aber „Leviathan“ gilt zu Recht als diesjähriger Höhepunkt des europäischen Autorenkinos.

Einen frappierenden Gegenentwurf dazu stellt das Regiedebüt „The Tribe“ des ukrainischen Filmemachers Myroslav Slaboshpytskiy dar, in dem nur unwesentlich weniger gesprochen wird – die Dialoge sind in Zeichensprache, ohne Untertitel. Slaboshpytskiys Film ist als Gesellschaftsbild verstörend. Gewalt und Prostitution bestimmen den Alltag einer Gruppe gehörloser Jugendlicher in einem staatlichen Erziehungsheim. Dass Slaboshpytskiy sich bei aller prinzipiellen Skandalträchtigkeit seines formal überzeugenden Films einen nüchternen Blick auf die Figuren bewahrt, ist dem Regisseur hoch anzurechnen.

Um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft geht es auch im neuen Film des philippinischen Regisseurs Lav Diaz, diesmal aus historischer Perspektive. Mit knapp sechs Stunden Länge nimmt er ein wenig Zeit in Anspruch, aber jede einzelne Minute lohnt: Ein entlegenes Dorf, in dem eine gewaltsame Macht schleichend überhandnimmt, wird zum Symbol eines politischen Zeitenwechsels im Jahr des Marcos-Putsches.

Es spricht für das starke Programm von „Around the World in 14 Films“, dass namhafte Filmemacher und Filmemacherinnen wie Jean-Luc Godard (mit seinem kuriosen 3-D-Experiment „Adieu au Langage“) oder Naomi Kawase („Still the Water“) hier bloß erwähnt werden können. Als Filmpaten, eine lieb gewonnene Tradition des Festivals, fungieren in diesem Jahr unter anderem Ulrich Matthes, Pia Marais, Wim Wenders, Martina Gedeck und Frieder Schlaich.

Programm: http://14films.de/

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