Alles auf eine Karte gesetzt

In Flensburg erproben Ärzte und Apotheker die elektronische Gesundheitskarte mittlerweile nur noch widerwillig. Wenn in wenigen Wochen das elektronische Rezept hinzukommt, befürchten sie massive Behinderungen in ihrem Berufsalltag

Die Verzögerungen bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte werden inzwischen schon mit der pannenreichen Einführung der LKW-Maut verglichen. Eigentlich sollte die e-Card schon seit Januar vorigen Jahres in ganz Deutschland in Gebrauch sein. Dass sie die derzeitigen Krankenversicherungskarten ablöst, hat die Bundesregierung bei der Gesundheitsreform 2004 ins Gesundheitsmodernisierungsgesetz geschrieben. Da steht als Zielvorgabe für die Einführung der 1. Januar 2006 drin, der ja bekanntlich seit längerem verstrichen ist. Perspektivisch soll die Karte neben der reinen Datenverwaltung auch medizinische Funktionen bekommen: Darauf soll ein Notfalldatensatz über die gesundheitliche Verfassung eines Patienten gespeichert werden, damit sich Ärzte und Apotheker über die Karte ein umfassendes Bild vom Patienten machen können. Datenschutzrechtlich ist das hoch umstritten. ee

VON ELKE SPANNER

Die Prognosen schwanken. Pessimisten unken, dass die elektronische Gesundheitskarte frühestens in 15 Jahren zum Einsatz kommt, Optimisten rechnen schon in fünf Jahren damit. Einigkeit besteht nur darin, dass die e-Card, die auf Dauer die derzeitigen Krankenversicherungskarten ablösen soll, anders als von der Bundesregierung geplant, nicht schon ab kommendem Januar in den Brieftaschen aller Patienten stecken wird. Denn der derzeitige Pilotversuch in bundesweit sieben Regionen, der seit Dezember auch in Flensburg durchgeführt wird, zeigt: Die Technik hinkt den ehrgeizigen Plänen hinterher.

Wer das sagt? Die schleswig-holsteinische Apothekerkammer zum Beispiel. Und die Ärzteorganisation Hartmannbund. Die sagen für diesen Sommer den Kollaps in den 25 Flensburger Arztpraxen und 15 Apotheken voraus, die am Pilotversuch teilnehmen. Nach der ersten Testphase, in der sie seit Dezember das Einlesen der neuen Karten durch neue Lesegeräte erproben, sollen sie in wenigen Wochen auch das „elektronische Rezept“ testen: Rezepte werden dann nicht mehr auf dem Papier verordnet, sondern auf die e-Card gespeichert. Bei der derzeitig verfügbaren Technik aber, sagt Matthias Seusing, praktischer Arzt und stellvertretender Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Hartmannbundes, dauere es sechs Minuten, bis ein Rezept fertiggestellt sei – falls nur ein Medikament verordnet wird. Bei jedem weiteren verlängere sich der Vorgang um weitere Minuten. „Dazu haben wir im Praxisalltag gar keine Zeit“, sagt Seusing.

Um ein elektronisches Rezept auszustellen, muss der Arzt oder die Sprechstundenhilfe parallel eine eigene Berechtigungskarte und die e-Card des Patienten einlesen lassen. Jedes Rezept muss dann elektronisch signiert werden – und das, sagt Seusing, dauert.

Außerdem sei es dadurch, dass immer beide Karten parallel eingelesen werden müssten, in Zukunft nicht mehr möglich, dass Patienten ihr Rezept schon vorher telefonisch bestellen oder dies im Notfall auch ohne Versicherungskarte bekommen. „Viele alte Menschen finden ihre Karte aber nicht auf Anhieb und brauchen trotzdem ihr Medikament“, sagt er.

Dieses Problem sieht auch Frank Jaschkowski, Sprecher der Apothekerkammer in Schleswig-Holstein. Kleine Probleme mit dem Rezept, sagt Jaschkowski, könnten nicht länger vor Ort in der Apotheke gelöst werden. Wenn beispielsweise der Arzt versehentlich die falsche Dosis einer Arznei verordnet hat, kann die Apotheke derzeit nach telefonischer Rücksprache mit dem Mediziner das Rezept handschriftlich abändern und dem Patienten das richtige Medikament aushändigen. Das geht künftig nicht mehr so leicht: Beim elektronischen Rezept muss der Patient zunächst in die Arztpraxis zurück, um seine Verordnung im Computer ändern zu lassen. Das sei kein seltener Beispielsfall, betont Jaschkowski: „Solche Unwägbarkeiten sind ein Massenphänomen: Bei sechs bis sieben Prozent aller Rezepte besteht in der Apotheke Klärungsbedarf.“

Gelöst werden könne dieses Problem allenfalls dadurch, dass eine Online-Verbindung zwischen der Arztpraxis und der Apotheke hergestellt wird, durch die der Arzt aus der Ferne erneuten Zugriff auf das Rezept bekommt. „So viel Zeit haben die Apotheker aber nicht.“

Auch die Frage, wer die neuen Lesegeräte bezahlen wird, ist noch nicht geklärt – was die Skepsis gegenüber der e-Card noch verstärkt. Zwischen 5.000 und 10.000 Euro fallen an Investitionskosten für die einzelnen Apotheken an, schätzt Jaschkowski. Ursprünglich war mal geplant, dass die Kassen den Betrag sukzessive bei der Abrechnung der Rezepte erstatten. Wie das konkret laufen soll? Einen Finanzierungsplan, sagt Mediziner Seusing, gibt es noch nicht.

So habe sich bei Ärzten und Apothekern inzwischen ein „verhaltener Unwille“ eingestellt, die e-Card in Gebrauch zu nehmen, sagt der Sprecher der Apothekerkammer. Die Ärzte haben ihren Unmut bereits in Worte gefasst und in Form einer Resolution der Ärztekammer vorgelegt. Darin kritisieren sie unter anderem, dass bei der e-Card „der Nutzen für die Patienten und Ärzte nicht im Vordergrund steht“, die Praxisabläufe „erheblich behindert werden“ und die Kosten des „milliardenschweren Prestigeobjektes nach bisherigem Kenntnisstand vor allem auf Ärzte abgewälzt werden sollen“.

Die Geschäftsführerin der Ärztekammer verweist bei dem Thema allerdings an den technischen Leiter des Pilotprojektes weiter, den Kieler Physiker Jan Meincke. Und der kann all die Kritik nicht verstehen: Der im Gesundheitsmodernisierungsgesetz vorgegebene Zeitplan sei inzwischen ohnehin hinfällig. Die Entwicklung der Technik aber schreite zügig voran. Und wenn die konservative Ärzteschaft daran Kritik übe, sagte er, dann treibe sie „ein politisches Spiel“.