Die Ewigheurigen

Für einen Abend Wiener sein: Wo ließe sich diese Utopie besser verwirklichen als in einem traditionellen Weinlokal. Trotz Massentourismus, Bodenspekulation und internationaler Gastronomie – in Neustift am Walde lebt die Heurigenkultur

INTERVIEW STEFAN SCHOMANN

taz: Herr Ferschel, was macht einen typischen Buschenschank aus?

Erich Ferschel: Dass er zu hundert Prozent selbst produzierten Wein verkauft. Dass man dort gemütlich sitzt und gut betreut wird. Im Mittelpunkt stehen die eigene Weinproduktion und das typische Buffet mit Selbstbedienung.

Was gibt es heute?

Wir haben Kümmelbraten da, Geselchtes, Schweinsschopf, faschierte Laberl, Blutwurst, Hendlhaxerl, Schweins- und Surschnitzel. Des Weiteren Sauerkraut und Salate verschiedenster Natur: Schwarzwurzelsalat, Frisolensalat (grüne Bohnen), Sellerie, Rote Bete, Kartoffelsalat. Die Mehlspeisen stammen aus eigener Produktion, ebenso Traubensaft und Apfelsaft. Auch die Nüsse, die Ribisln (Johannisbeeren) und die Äpfel wachsen direkt in unseren Weingärten.

Ist Ihr Betrieb typisch für einen Buschenschank?

Ich gehöre zu den kleineren Betrieben, bin aber im Vollerwerb. Das Lokal hat rund 160 Plätze, der Garten noch mal so viele. Das ist das Minimum, um überleben zu können. Hinzu kommen 4,5 Hektar Weinbaufläche. Der Heurige ist der kleine Luxus, den sich jeder Wiener leistet.

Ihr Lokal gilt als eines der ursprünglichsten Weinlokale von ganz Wien. Kommen auch Touristen?

Auch der Tourist ist herzlich willkommen – solange er individuell kommt. Busse nehme ich nicht. In dem Moment, wo hier ein Bus vorfährt, sind alle Wiener weg.

Wien ist die einzige Millionenstadt der Welt, die einen nennenswerten Weinbau ihr Eigen nennt …

Damit lässt sich gutes Stadtmarketing machen. Wien gilt, nach Paris, als die zweitwichtigste Kongressstadt der Welt, und neunzig Prozent dieser Kongresse haben einen Heurigenbesuch im Programm. Auch jede Wirtschaftsdelegation geht abends zum Heurigen. Erst heute saß eine armenische Abordnung hier. Sogar der Österreichische Staatsvertrag, der uns das deutsche Schicksal der Teilung erspart hat, wurde beim Heurigen ausgehandelt. Unser damaliger Kanzler, Leopold Figl, war sehr trinkfest. Dadurch hat er die Russen überzeugt,

Schenken Sie auch Bier aus?

Wenn Wiener Kunden bei mir ein Bier verlangen, sehe ich rot. Ich bin kein Bierlokal! Ich hab ein Flaschenbier für Notfälle, aber ich würde es nie auf die Karte setzen.

Wird in einem Buschenschank viel getrunken?

Früher wurde deutlich mehr getrunken. Ein alter Kollege hat mir erzählt, wie sie ein Fass mit 400 Litern innerhalb von einem halben Tag leer gemacht haben. Der hat höchstens 200 Plätze gehabt. Damals wurden Mengen getrunken, die heute keiner mehr trinken kann. Ich erinnere mich noch an Stammgäste aus meiner Kindheit, die beinah täglich zwischen zehn und zwölf Viertelliter Wein getrunken haben. Die sind immer noch selbst nach Hause gegangen, wenn auch nicht mehr ganz normal. Zugegeben, die Weine waren früher auch leichter, hatten um die 11 Volumenprozent. Heute schauen die Gäste mehr auf die Qualität. Und selbst die Schankweine für ’n Gspritztn haben 12,5 Prozent.

Gibt es Vorschriften, wie ein Heuriger zu sein hat?

Es gibt ein österreichisches Buschenschankgesetz, ein Heurigengesetz dagegen nicht. Auch ein Lokal mitten in der Stadt kann sich so nennen. Einen echten Heurigen erkennt man also paradoxerweise daran, dass er Buschenschank heißt. Das Zeichen dafür ist ein Föhrenbusch überm Eingang, der aufgehängt wird, wenn der Betrieb geöffnet ist. Dort stammt der Wein ausschließlich aus Eigenbau. Leider gibt es immer mehr Gastwirte, die meinen, es ginge auch anders. Die verkaufen dann mehr oder weniger das, was in der Stadt auch angeboten wird.

Aber wen zieht es dann noch hierhin?

In Wien ist die Restaurantdichte extrem hoch, angeblich die höchste weltweit. Doch noch kann der Heurige sich gut gegen die internationale Gastronomie behaupten.

Ihr Land steht unter dem Schutz der Unesco, als Teil des Biosphärenparks Wienerwald.

Das bedeutet, dass diese Kulturlandschaft zusätzlich geschützt ist und nicht verbaut werden darf. Trotzdem gibt es Leute, die meinen, sie müssten mit Boden spekulieren: Anwälte, Ärzte, Industrielle. Die zahlen Preise, die sich ein Weinbauer nicht leisten kann. Landwirtschaftliche Grundstücke liegen hier bei 7 Euro pro Quadratmeter. Zwanzig Kilometer weiter draußen kosten sie nur mehr ein Zehntel. Gerade Neustift ist ein teures Pflaster. Für eine Wohnung zahlt man 5.500 bis 7.000 Euro pro Quadratmeter.

Mehr als in Hamburg! Und das nur, damit man zu Fuß zum Heurigen gehen kann?

Das ist natürlich die beste Lösung: zu Fuß zu gehen. Wenn die Gäste mit dem Auto kommen, trinken sie oft nur Traubensaft, und selbst den nur gespritzt. Die haben sich erstaunlich gut im Griff, das hat sich mit der 0,5-Promille-Grenze so eingependelt. Bei einem Weißburgunder 2006 reichen dafür anderthalb Achterl; von einem Grünen Veltliner 2004 kann man dagegen drei Achterl trinken.

Seit acht Jahren führt Erich Ferschel, 31, den Buschenschank „Schiefer Giebel“, Rathstraße 30, Neustift am Walde, 1190 Wien, von Dienstag bis Freitag ab 15 Uhr geöffnet, Samstag und Sonntag ab 14 Uhr