: Rasende Satire öffnet Hirne und Herzen
PUNKS ’S NOT DEAD Jello Biafra bringt mit der Guantanamo School of Medicine das Astra-Kulturhaus in Wallung
Für Oldschool-Punks ist Jello Biafra alias Eric Reed Boucher so etwas wie ein Messias – auch wenn seine Botschaften wenig Gutes verheißen. Schließlich geht es um Punk. Wie kein anderer dominiert der frühere Dead-Kennedys-Sänger die Szene, ohne seinen Wirkungskreis darauf zu beschränken. Seit Jahren engagiert er sich für Bürgerrechte und tingelt als Spoken-Word-Performer durch die Welt. Jedes Konzert gerät zur Nabelschau der Anhängerschaft: Wie steht es heute um Nonkonformismus und kreative Wut?
Derlei Gedanken schwangen auch am Freitagabend in Berlin mit. Was schon für die Dead Kennedys galt, zeichnet ebenso Biafras aktuelle Band The Guantanamo School of Medicine aus: eine kompromisslose Haltung, vermittelt durch ebenso kompromisslose, bisweilen schockierende Satire. Wie etwa in „Three Strikes“: „Welcome to the gulag of the red, white and blue, gotta keep up with the Chinese slaves, so hard labor or you.“ Die halsbrecherische Uptempo-Nummer ist nicht nur einer der Höhepunkte des 90-minütigen Sets im Astra-Kulturhaus. Dieser und weitere Tracks vom Album „The Audiacity of Hype“ (2009) machen deutlich, dass Biafras derzeitiges Projekt den Dead Kennedys mindestens ebenbürtig ist. Selbst wenn der neue Longplayer „Enhanced Methods of Questioning“, dessen Cover ein ausgestreckter Zeigefinger mit Stars-and-Stripes-Muster ziert, erst nach mehreren Durchläufen zündet.
Ob der Fünferhaufen Dead-Kennedys-Klassiker à la „Holiday in Cambodia“ oder aktuelles Material in die schwitzende Menge ballert: Man wird das Gefühl nicht los, sich keine bessere Umrahmung für Biafra vorstellen zu können. Die Gitarristen Ralph Spight und Kimo Ball machen mächtig Druck, wenngleich ihr fettes Gegniedel mitunter mehr nach Monster Magnet als nach Punkrock klingt. Andrew und Jon Weiss – bekannt aus der Rollins Band – sorgen an Bass und Gitarre für eine stoische, aber tighte Rhythmusarbeit, die das Ganze zusammenhält.
Manch einer mag ob dieser Perfektion das fahrige Scheppern und Holpern aus Dead-Kennedys-Tagen vermissen – welcher Stil den Songs, die auch nach 30 Jahren nichts von ihrer perfiden Frische verloren haben, am ehesten gerecht wird, sei dahingestellt. Mit neuen Nummern wie „The cells that will not die“ und „Invasion of the mind snatchers“ harmonieren die alten ohnehin vortrefflich.
Letzteren Track leitet Biafra mit einer seiner politisch inkorrekten Mini-Performances ein. „Wer ist der furchterregendste Deutsche aller Zeiten?“, fragt der 53-Jährige und antwortet: „Papst Benedikt XVI., wer sonst?“ Es sind auch Biafras Entertainer-Qualitäten, die die Spannung am Limit hält, selbst dann, wenn sein Spott im Dienste der Pointe mit der Bewertung des Nationalsozialismus ganz bewusst – sagen wir – jongliert. Auch jetzt regiert sein Credo: Menschen zu schockieren, um sie zum Denken zu bewegen, damit sie sich gegen geistige Bevormundung, globalisierte Monopole und den Abbau von Freiheitsrechten wie im „USA Patriot Act“ wehren. Zwei weibliche Fans sind von alldem so bewegt, dass sie nur mit Mühe darin gehindert werden können, ihrem Idol hinter den Bühnenvorhang zu folgen. Menschenfischer, und seien sie noch so polarisierend, lebten eben schon immer gefährlich. NILS MICHAELIS
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