Die positive Seite des Sports

Sport ist für HIV-Positive kein Tabu. Im Gegenteil: Er stärkt die Abwehrkräfte. Magic Johnson zeigte, dass sogar Profibasketball möglich ist. Infektologen sehen kaum Gefahren für Mitspieler. Doch in Vereinen werden Infizierte noch immer gemieden

VON JUTTA HEESS

In einer Turnhalle in Moabit laufen zwölf Männer locker im Kreis. Aus einem tragbaren CD-Spieler tönt 80er-Jahre-Musik. Der 44-jährige Frank* gibt Kommandos: „Auf der Stelle hüpfen!“ Frank ist durchtrainiert, man sieht ihm an, dass er viel Sport treibt. Wie alle anderen Teilnehmer des heutigen Trainings ist auch er HIV-positiv. Im Rahmen des schwul-lesbischen Sportvereins „Vorspiel“ hat Frank vor elf Jahren die „Positive Sportgruppe“ ins Leben gerufen. „Ich brauche Sport für mich als Ausgleich zu meiner beruflichen Tätigkeit“, erklärt er. „Ich jogge, ich gehe Skilaufen, ich skate, ich gehe ins Fitnessstudio.“

Frank bietet in seiner „Positiven Sportgruppe“ ein gesundheitsorientiertes Training an. Der Sozialpädagoge ist Übungsleiter für Gesundheits- und Seniorensport. Die knapp zweistündige Trainingseinheit besteht aus Spielelementen, Konditionsübungen und Gymnastik.

Als Frank sein positives Testergebnis erfahren hatte, half ihm der Sport, mit der neuen Lebenssituation umzugehen. Er habe den Sport bewusst gewählt, um sich zu outen. „Ich wollte offensiv damit umgehen“, sagt er. Sporttreiben ist für HIV-Positive kein Tabu. Im Gegenteil. Sport in Maßen stärkt den Körper und damit die Abwehrkräfte, was gerade für Menschen mit einer erworbenen Immunschwäche wichtig ist. Ein bisschen vorsichtiger als Nichtinfizierte müssen HIV-Positive jedoch sein. „Die Grenze der Überlastung wird schneller erreicht als bei Gleichaltrigen“, erklärt Frank. „Und die Zeit der Regenerierung dauert in der Regel etwas länger.“

Auch Bernhard Bieniek, Infektiologe und Facharzt für Innere Medizin, empfiehlt Positiven körperliche Betätigung – mit Einschränkungen. Denn sowohl die Infektion als auch die Medikamente können die Betroffenen angreifen. Aber nicht jeder HIV-Positive hat die gleichen Beschwerden. Die Belastbarkeit der Betroffenen kann sehr unterschiedlich sein. „Es gibt Menschen mit HIV-Infektion, die jeden Tag spüren, dass sie krank sind“, sagt Bieniek. „Und es gibt andere, die spüren fast nichts. Derart unterschiedlich ist dann auch deren Möglichkeit, überhaupt Sport zu treiben.“

Auch Frank kann das bestätigen: „Es kann immer wieder sein, dass Medikamente unangenehme Nebenwirkungen haben, wie etwa Neuropathien. Das sind Gefühlsstörungen, vorwiegend in den Füßen. Sie verursachen Missempfindungen, sodass man zum Beispiel beim Gehen nicht genau spürt, wo man auftritt. Das ist natürlich beim Sport verdammt gefährlich.“

Vor 26 Jahren wurde das HI-Virus entdeckt. Seither haben sich weltweit mehr als 65 Millionen Menschen infiziert, über 25 Millionen sind an Aids gestorben.

Die Unsicherheit im Umgang mit der Krankheit spiegelt sich im Schicksal des Turmspringers Greg Louganis wider. Der mehrfache Weltmeister und Olympiasieger erfährt wenige Monate vor den Olympischen Spielen 1988, dass er positiv ist. Dennoch holt er in Seoul zwei Goldmedaillen. Ein Zwischenfall zeigt, wie stark die Krankheit verdrängt und mit welcher Unwissenheit ihr begegnet wurde: Bei einem Sprung vom Dreimeterbrett schlägt Louganis mit dem Hinterkopf auf die Brettkante und fällt blutend ins Wasser. Er informiert weder seinen Arzt noch die anderen Olympioniken von seiner HIV-Infektion – obwohl er im Nachhinein zugibt, panische Angst gehabt zu haben, andere Springer könnten sich durch sein Blut im Wasser angesteckt haben.

„Das Blut, das ins Wasser geraten ist, war sehr schnell verdünnt“, sagt der Mediziner Bernhard Bieniek. „Außerdem sterben die Viren rasch ab, vor allem in chloriertem Wasser. Ich hätte da keine großen Hemmungen gehabt, hinterherzuspringen.“

Louganis outet sich erst 1994. Es ist ein anderer Sportler, der zuvor mit dem Bekenntnis, HIV-positiv zu sein, bewusst an die Öffentlichkeit geht: der amerikanische Basketballer Earvin „Magic“ Johnson. 1991 erklärt er seinen Rücktritt vom Profisport und engagiert sich in der Aids-Prävention: Er gründet eine Stiftung und wird später Präsident der Nationalen US-Kommission gegen Aids.

Doch sein Abschied vom Basketball ist nur vorübergehend: 1992 holt der Superstar mit dem „Dream Team“ der USA in Barcelona olympisches Gold. Auch in der NBA feiert Johnson mit den Los Angeles Lakers ein Comeback. Er beweist, dass es möglich ist, mit einer HIV-Infektion Leistungssport zu treiben. Aber nach nur kurzer Zeit tritt er erneut zurück – denn Mitspieler und Gegner äußern Bedenken, dass sie sich in kampfbetonten Szenen vielleicht anstecken könnten.

Bieniek zerstreut diese Sorgen. „Es ist immer wieder lohnend, das ganz klar zu sagen: Ansteckend sind Blut und Sperma. Alles andere nicht, weder Schweiß noch Speichel.“ Ein kleines Restrisiko bleibe, wenn Sportler sehr stark bluten, meint Bieniek. „Bei manchen Sportarten können Wunden entstehen. Dann müsste aber derjenige, der infiziertes Blut abkriegt – zum Beispiel bei einem Boxkampf – auch eine Wunde haben, damit das Blut überhaupt eine Gelegenheit hat, in den Körper zu kommen. Eine kleine Wunde würde nicht ausreichen, zudem müsste das Blut richtig in die Wunde hineingerieben werden. Das wird nicht passieren. Ich würde sagen, es gibt eigentlich keine Möglichkeit, sich beim Sport anzustecken.“

Sport für HIV-Positive – und gemeinsam mit ihnen – sollte also eine Selbstverständlichkeit sein. In Wirklichkeit jedoch, so erzählen der Infektologe Bieniek und der Übungsleiter Frank, würden HIV-Positive in Vereinen und Sportgruppen noch immer gemieden oder gar rausgeekelt.

* Name von der Redaktion geändert