DIE SPALTUNG DER GEWERKSCHAFTEN NUTZT NUR DEN UNTERNEHMERN
: Unsolidarische Lokführer

Während die Tarifverhandlungen zwischen den traditionellen Bahngewerkschaften und dem Bahnvorstand am Sonntagabend optimistisch starteten, setzt die Gewerkschaft der Lokführer weiter auf Konfrontation. In den nächsten Tagen werden die Lokführer, die einen eigenen Tarifvertrag mit kräftigen Lohnzuwächsen anstreben, einen spürbaren Warnstreik organisieren, um vor dem Tarifgespräch am Freitag Stärke zu demonstrieren. Wer kämpferische Gewerkschaften liebt, weil nur sie adäquate Lohnzuwächse erstreiten können, mag dies auf den ersten Blick sympathisch finden. Strategisch gesehen schwächen aber die Lokführer, deren Forderungen materiell verständlich sind, die Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Und das nutzt nur den Unternehmern.

Denn die Lokführer – die, das sei anerkannt, immerhin auch Zugbegleiter und Zugbegleiterinnen vertreten – kündigen mit ihren Forderungen offen die Solidarität mit anderen Bahnbeschäftigten auf, etwa den Schlossern, Gleisbauern oder Telefonistinnen.Vor rund einem Jahr war eine ähnliche Entsolidarisierung erfolgreich: Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund, die jetzt den Lokführern Tipps gibt, setzte für ihre nicht gerade arme Klientel hohe Gehaltszuwächse durch, während sich Krankenschwestern bescheiden mussten.

Wenn Berufsgruppen, die auf Grund ihrer besseren Stellung im Wertschöpfungsprozess gute Karten haben, nur noch für sich das meiste herausholen, wird dies die Spaltung der Lohnabhängigen in Niedrigst-, Gering-, Durchschnitts- und Spitzenverdiener noch weiter verschärfen. Gerade die unteren Lohngruppen sind bislang in Branchen mit starken Gewerkschaften, etwa Metall oder Chemie, weitgehend vor Dumping geschützt. Dies gelingt nur, weil die Branchengewerkschaften alle Beschäftigten vertreten und so zumeist ordentliche Abschlüsse für alle erzielen können. Scheren besser gestellte Berufsgruppen aus, führt dies zur Schwächung der Branchengewerkschaften – und den Unternehmern ist es ein Leichtes, sich die Lohnzuwächse der Stärkeren bei denen zurückzuholen, die leicht austauschbar sind. Das Ziel, die Marktwirtschaft zu zähmen, können die Gewerkschaften dann vergessen. RICHARD ROTHER