Je oller, desto doller
: Altenhilfe

von Rainer Nübel

Es wird Zeit, ein grobes politisch-semantisches Missverständnis aus der Welt zu schaffen. Bisher dachte man ziemlich unbedarft, das Wort „Altenhilfe“ bedeute, dass Senioren geholfen werde. Sozial, fürsorglich, menschlich. So wie jüngere Menschen sich etwa rührend darum kümmern, dass in die Jahre gekommene Familienmitglieder rasch einen Platz im Altersheim bekommen. Oder, unvergessen, wie die treu sorgende Entourage von Günther Oettinger weiland Erwin Teufel geholfen hat, sich würdig aus dem Amt des Ministerpräsidenten directement ins Rentnerdasein zurückzuziehen – durch die liebevoll kolportierten Nettigkeiten, der Alte höre immer schlechter und sei auch sonst ziemlich trottelig geworden.

Und jetzt das. Plötzlich ist alles ganz anders: Es sind die Alten, die helfen – einer ganzen Partei und ihrer Chefin auf die Sprünge. Und sie sind sogar behilflich, den Frieden über die Stuttgarter Menschheit zu bringen. Alles nach dem schwäbischen Motto: Wart, dir helf i!

Nehmen wir Erwin Teufel. Viele dachten, der ehemalige Regierungschef sitze längst im Lehnstuhl, telefoniere vielleicht mal mit Winfried Kretschmann, um mit ihm über den Papst und die Welt zu plaudern, oder setze sich auf der Alb bei Spaichingen auf ein Bänkle, um kontemplativ ins Ländle zu blicken. Nix da. Das ältere Semester, 71, bricht sein jahrelanges christdemokratisches Schweigen und donnert los: Der CDU fehlten das Profil, jegliches Alleinstellungsmerkmal, ein wirtschaftspolitisches Gesicht und Leute mit Bodenhaftung. Und christlich sei das alles schon längst nicht mehr, das hohe C im Parteinamen nur noch eine Marke ohne Wert. Da zog es, so darf man annehmen, die Mundwinkel von Angela Merkel auf einen neuen Tiefststand. Denn der Alte hinter den sieben Albbergen hatte vor allem sie gemeint, ohne die Parteichefin beim Namen zu nennen. Raffiniert, gell?

Wie Teufel, der in seiner Amtszeit nicht unbedingt als der Cicero der deutschen Politik galt, jetzt zum leidenschaftlichen Rhetor mutierte und seiner Partei die Leviten las, hat die CDU ins Mark getroffen. Und die bildgewaltigen Freunde vom Boulevard zum sprachsensiblen Symbolismus inspiriert: „Teufel macht CDU die Hölle heiß!“ Aber wird sich die Partei von diesem rüstigen Altenhelfer helfen lassen?

Beim anderen Wunder politischer Gerontologie war und ist der Überraschungseffekt genauso groß. Dass Heiner Geißler sein Talent zum Schlitzohr umso intensiver pflegt, je älter er wird, wusste man. Und seine Metamorphose vom scharfzüngigen Linkenkritiker zum attac-ierenden Ideenrebell ließ schon lange manches erwarten. Oder befürchten, wie man will. Doch als buckliger Friedensengel, der salomonisch die Ober- und Unterwelt retten will – nein, in dieser Altersrolle im Stuttgarter Ensuite-Theater hatte ihn niemand auf der Milliardenrechnung.

Wobei, wie man schon aus der Bibel weiß, mancher Engel auch fallen kann, wenn er sich selbst überschätzt. Oder Dämonen verbal aufleben lässt: „Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr den totalen Sieg?“ Dieses Wort, im Eifer der Friedensmission, war jedenfalls keine große Altenhilfe. Jetzt muss sich Heiner Geißler einiger Kritik erwehren. Darin ist er freilich geübt. Seit vielen Jahren. Der Stuttgarter FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke mutmaßt gar, der 81-Jährige wolle der „Jopi Heesters des Politikbetriebs werden und mit hundert noch in Talkshows sitzen“. Der liberale Jungspund hat was vergessen: Dort sitzt schon Hans-Dietrich Genscher.