Hilft Deutschland den Hungernden zu wenig?
JA

HUNGERSNOT Über 12 Millionen Menschen am Horn von Afrika benötigen dringend Nahrung. Die Bundesregierung will gut 60 Millionen Euro geben

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taz.de/sonntazstreit

Josef Sayer, 69, ist katholischer Theologe und Hauptgeschäftsführer von Misereor

Die Bilder der Hungerkatastrophe in Ostafrika berühren die Menschen in Deutschland. Das Hilfswerk Misereor macht die Erfahrung, dass viele ihr Herz öffnen und spenden – auch das ist Deutschland! Wie für Misereor muss es aber auch für die Bundesregierung nicht nur um Nothilfe gehen, sondern um präventive Maßnahmen. Die Hungersnot ist nicht vom Himmel gefallen. Ihre Zuspitzung war absehbar. Bis heute fehlen am Horn von Afrika regionale Nahrungsmittelreserven. Die lebensnotwendige wasserrückhaltende Infrastruktur ist unzureichend. Die Armen brauchen einen sicheren Zugang zu Land, Wasser und Saatgut sowie Zugang zu Märkten, Beratung und fairen Krediten. Die Bundesregierung muss eine klare Priorität auf technische und finanzielle Hilfe im Sinne der Millenniums-Entwicklungsziele und des Weltagrarberichts setzen. Zudem erwarten wir Leadership in der EU und der UN im Blick auf Armutsbekämpfung, Klimaschutz und gute Regierungsführung. Wie sähe die Welt heute aus, wenn die Rettung der Hungernden ähnlich konsequent umgesetzt worden wäre wie die Rettung der Banken?

Helmut Asche, 60, ist Professor für Afrikanistik an den Universitäten Leipzig und Mainz

Noch klafft eine große Lücke zwischen Bedarf und Hilfsangeboten für Ostafrika. Spendenmüdigkeit können wir uns kaum leisten, wenn wir globale moralische Standards nicht aufgeben wollen. Vom Klimawandel ist für Afrika eines sicher zu erwarten: die Zunahme extremer Wetterschwankungen – in Ost- und Südafrika mit Dürren, aber auch mit Überflutungen. Darauf muss sich die Weltgemeinschaft so oder so einrichten. Die Arbeiten von Amartya Sen haben gezeigt, dass Hungersnot ohne politisches Systemversagen kaum vorkommt, aber das hilft jetzt wenig; wie in Somalia wieder Staat zu machen wäre, weiß derzeit niemand. Drei Nachrichten sollten westliche Hilfsbereitschaft, auch unter taz-Lesern, stärken: Die neue afrikanische Mittelklasse spendet zum ersten Mal selbst ganz massiv – auch kleine Beträge über die in Kenia entwickelten Handy-gesteuerten Mikrofinanzsysteme. Neue landwirtschaftliche Programme dürften die Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfe auf mittlere Sicht wenigstens in Äthiopien und in Kenia verringern. Und Afrikas gefürchtete neue Partner (wie China, Brasilien) werden sich dem Druck, auch in der Nothilfe größer einzusteigen, kaum mehr entziehen können.

Regina Rehm-Krause, 57, aus Garlstorf hat die Frage auf taz.de beantwortet

Jahrzehntelange Entwicklungshilfe hat in vielen Gebieten Afrikas die traurige Situation der Einheimischen nicht verbessert. Die Argumentation, dass die früheren Kolonialmächte die Ursache dafür sind, klingt wie eine hohle Phrase, die von anderen Fehlern im System ablenken soll. Die Förderung der regionalen Wirtschaft, Zugang zu Bildung, die Nutzung vorhandener Ressourcen, Förderung von Selbstverantwortung, wieso ist das eigentlich in Afrika so schwer? Ein anderes Problem: die hohe Geburtenrate, die zwangsläufig dazu führt, dass Ressourcen knapp werden. Die Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper ist laut Untersuchungen die Vorraussetzung für eine vernünftige Geburtenkontrolle. Warum sollte eine Frau, deren Wert daran bemessen wird, wie viele Kinder sie gebärt, nicht ihr halbes Leben lang schwanger sein?

Nein

Dirk Niebel, 48, FDP, ist seit zwei Jahren Bundesminister für Entwicklung

Die Bundesregierung hat rasch reagiert und Mittel bereitgestellt, um den Dürreopfern am Horn von Afrika zu helfen. Die Nothilfe wurde inzwischen auf über 30 Millionen Euro aufgestockt. Hinzu kommt der deutsche Anteil in Höhe von rund 32 Millionen Euro an den EU-Hilfen. Im Augenblick muss es vor allem darum gehen, Menschenleben zu retten und gerade den Kindern ausreichende Nahrung zukommen zu lassen. Zugleich sollte man den Blick aber nicht auf die kurzfristige Hilfe verengen. Gute Entwicklungspolitik heilt nicht Symptome, sondern bekämpft die Ursachen von Armut, Hunger und Unterentwicklung. Viel zu lange sind Investitionen in die ländliche Entwicklung vernachlässigt worden. Hier hat diese Regierung 2009 umgesteuert. Sie hat die Förderung der ländlichen Entwicklung zu einem Schwerpunkt ihrer Entwicklungspolitik gemacht. Das Bundesentwicklungsministerium hat unter meiner Leitung seit 2009 Kenia und Äthiopien zusammen 55 Millionen Euro für nachhaltige Landbewirtschaftung, die langfristige Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion und die Verbesserung der Ernährungssicherheit zugesagt. Das ist es, worauf es langfristig ankommt, um ähnliche Katastrophen zukünftig zu verhindern.

James Shikwati, 40, ist Direktor des Inter Region Economic Network in Kenia

Deutschland gelingt es nicht, die Hungersnot am Horn von Afrika mit Geld zu bekämpfen. Ohnehin kommt Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt erst an vierzehnter Stelle als Geberland für die von den Vereinten Nationen geforderten 2,5 Milliarden Dollar. Um den Hunger zu beseitigen, hilft es aber nicht, einfach nur noch mehr Geld zu zahlen. Deutschland müsste stattdessen viel stärker seinen globalen Einfluss nutzen, um die strukturellen Ursachen des Hungers am Horn von Afrika anzugehen: die geopolitischen Interessen, die die Konflikte in der Region anfeuern. Die falsche Entwicklungspolitik, die von internationalen Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds vorgegeben wird. Die internationalen und afrikanischen Eliten, die die Wirtschaft sabotieren. Deutschland setzt sich auch nicht genug für eine afrikanische Einbeziehung bei der Bekämpfung der Hungersnot ein. Nur wer diese strukturellen Ursachen angeht, kann den Hunger dauerhaft bekämpfen.

Christian Schneider, 45, ist seit 2010 Geschäftsführer von Unicef Deutschland

Bisher haben wir fast acht Millionen Euro private Spenden für Ostafrika erhalten. Umgerechnet hat also jeder zehnte Bürger einen Euro gegeben. Nirgendwo sonst auf der Welt wird die Unicef-Nothilfe so großzügig unterstützt. Für diese Hilfe sind wir sehr dankbar. Wir leiten das Geld sofort weiter, es steht direkt für die Nothilfe zur Verfügung. Denn für das Überleben der Kinder zählt jeder Tag. Pro Kind sind nur rund 30 Euro notwendig, um es einen Monat lang zu versorgen. In der Politik scheint mir die Dringlichkeit der humanitären Katastrophe allerdings noch nicht voll erkannt. Um zu helfen, braucht es eine massive internationale Kraftanstrengung. Die Bundesregierung hat ihre Zusagen zwar erhöht, bleibt aber bisher hinter Ländern wie Großbritannien zurück. Für die hungernden Kinder in Ostafrika zählen jedoch nicht Versprechen, sondern Fakten: Spenden, die sofort und flexibel einsetzbar sind.