„Es ist eine Wellenbewegung“

RADSPORT Nach dem Aus seines Rennstalls HTC sagt Sportdirektor Rolf Aldag: „Wir befinden uns jetzt dort, wo wir 1990 standen“

■ 42, fuhr jahrelang für das Team Telekom, legte ein Dopinggeständnis ab und betreut seit 2008 den Rennstall HTC Highroad als Sportdirektor.

INTERVIEW TOM MUSTROPH

Das US-Team HTC Highroad, Nachfolger von T-Mobile, um Zeitfahr-Spezialist Tony Martin und Sprinter Mark Cavendish zieht sich im Winter aus dem Radsport zurück. Rennstall-Besitzer Bob Stapleton verkündete jetzt die Entscheidung, die er nach erfolgloser Sponsorensuche als „beste Variante“ bezeichnete. Seinen Fahrern legte er nahe, sich nach neuen Teams umzusehen. Vor einer Woche schien die Zukunft der erfolgreichsten Equipe der vergangenen Jahre noch gesichert zu sein. Doch ein erhoffter neuer Sponsor hat sein Angebot zurückgezogen. HTC hat damit das gleiche Schicksal ereilt wie die deutschen Rennställe Gerolsteiner und Milram.

taz: Rolf Aldag, warum sorgt der Gewinn der Sprintwertung bei der Tour de France und damit des zweitwichtigsten Trikots bei der wichtigsten Rundfahrt nicht für Geldgeber und Attraktivität?

Rolf Aldag: Attraktivität gibt es schon. Der Träger des grünen Trikots Mark Cavendish hat einen Mega-Vertrag unterschrieben. Aber bei uns hat auch der Zeitfaktor eine Rolle gespielt. Man kann nicht so schnell ein Investment von 10 bis 15 Millionen Euro auf die Beine stellen. Jetzt bin ich stolz, dass fast jeder eine Zusage von einem neuen Arbeitgeber hat. Bei zwei Fahrern ist das noch etwas wacklig. Einen Masseur und einen Mechaniker muss ich noch unterbringen. Ich hoffe aber, dass mir das heute noch gelingt.

Und wohin gehen Sie? Während der Tour wurde ja spekuliert, dass Sie als Sportdirektor zum Team Sky gehen, bei dem dann Mark Cavendish unter der Aufsicht von Sprint-Experte Erik Zabel Etappensiege sammeln soll.

Nein. Eine solche Paketlösung wird es nicht geben. Aber Cavendish wäre dumm, wenn er nicht ein paar Rennfahrer wie Mark Renshaw mitnähme. Um meine Zukunft kümmere ich mich, wenn ich die der anderen geklärt habe. Es gab bereits Anfragen von zwei Rennställen.

HTC Highroad war, gemessen an der Anzahl der Siege, der erfolgreichste Rennstall der letzten Jahre. Was war der Schlüssel zum Erfolg?

Die Teammitglieder. Wir waren ein verrückter Haufen. Jeder hat die alten Geschichten über Bord geworfen. Wir haben viele Sachen neu gemacht. Alle von uns waren in neuen Positionen. Wir haben uns da gut reingefunden und sehr akribisch gearbeitet. Und wir haben niemals Qualität von außen zugekauft, weder im Management noch bei den Rennfahrern, sondern alles aus uns selbst heraus entwickelt.

In Deutschland wird die Auflösung von Team HTC weitgehend als weiteres Zeichen für den Niedergang des Profiradsports interpretiert. Stimmt diese Perspektive?

Ich glaube, dass jeder, der dieses Jahr bei der Tour de France dabei war, etwas erlebt hat, das weit entfernt von Niedergang oder Auflösung des Radsports war. Die Tour war spannend wie noch nie. Immer mehr Menschen kamen an die Straßen. Das war ein Gänsehautfeeling.

Für den organisierten Berufsradsport in Deutschland bedeutet das Ende des Nachfolgerennstalls von T-Mobile und damit das Verschwinden der letzten großen Infrastruktur also nicht das Ende?

Es ist eine Wellenbewegung. Wir befinden uns jetzt an der Stelle, an der wir 1990 standen. Es gab kein deutsches Team und keine festen Fernsehzeiten. Telekom hat in den Sport investiert und war sehr erfolgreich damit. Jetzt muss nur jemand erkennen, dass er mit dieser Sportart einen 20-fachen Return an Werbewert hat. Und dieser Jemand muss Strukturen schaffen.

Können diese erfolgreichen Strukturen, anders als in den 90er Jahren, auch ohne die damaligen unterstützenden Mittel, sprich Doping aufgebaut werden?

Ja. Wir haben das ja in den letzten Jahren hoffentlich bewiesen. Man muss im Detail arbeiten, dann ist man auch erfolgreich. Man muss zum Beispiel etwa 15.000 Euro in die Reisekosten von Bert Grabsch investieren, damit der in Windkanaltests seine Leistung um 8 Prozent erhöht und so Zeitfahrweltmeister wird. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.