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Mit Lenins Segen

URBANES FORSCHUNGSLABOR Das BMW Guggenheim Lab will mobile Ideenschmiede, öffentliches Forum und Nachbarschaftszentrum zu Fragen des modernen städtischen Lebens sein

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die Solomon R. Guggenheim Foundation ist dafür berühmt, dass sie für die Ewigkeit der Architekturgeschichte baut. Angefangen bei der spektakulären Rotunde von Frank Lloyd Wright in der Fifth Avenue über das Guggenheim Bilbao bis zum ebenfalls von Frank Gehry entworfenen Guggenheim Abu Dhabi, das 2013 eröffnen wird. Der neueste Guggenheim-Neubau allerdings ist ein temporäres Bauwerk. Es steht in der Lower Eastside und dient der Aufgabe, die Nachbarschaft und die New Yorker überhaupt in ein Gespräch über die allgemeinen wie die besonderen, lebenspraktischen Herausforderungen des modernen städtischen Lebens zu verwickeln.

Sollte eine tiefere Ironie darin liegen, dass das „BMW Guggenheim Lab“, wie sich die schwarze Box nennt, die die Architekten vom Tokioter Büro Bow Wow in eine Baulücke an der Houston Street /Ecke Second Street geschoben haben, von einem Lenin mit erhobener Hand gegrüßt wird? Der Besitzer eines aus den 1940er Jahren stammenden, bescheidenen Wohnblocks hat die Statue für viel Geld aus Moskau nach New York importiert, wo er sie auf seinem Mietshaus an der Houston Street/Ecke Avenue A postierte. Das nennt man wohl Radical Chic.

Das BMW Guggenheim Lab will nicht Radical Chic, sondern eine Konzeptwerkstatt sein, die von den Münchener Autobauern finanziert und von der Guggenheim Foundation inhaltlich verantwortet wird. Sie umfasst den Bau gleich drei solcher Architekturen, die während sechs Jahren in weltweit neun Städte reisen werden. Damit verbunden sind je drei Programmreihen mit Vorträgen, Workshops, Spielen, Filmvorführungen und Exkursionen, die lokalen wie netzbasierten Gruppen und sonstigen interessierten Bürgern Anregungen und Rückhalt gegeben wollen, wichtige Standortthemen aufzugreifen oder ganz allgemein Ideen hinsichtlich innovativer und nachhaltiger Projekte für das städtisches Leben zu diskutieren und zu entwickeln. Zu diesem Zweck sponsert BMW auch Reisen von Fachleuten und Journalisten an die jeweiligen Orte.

Kein Komfort für alle

„Confronting Comfort“ ist das Thema des ersten Zyklus, der die Städte New York, Berlin und Mumbai umfasst. Worin die Problematik des städtischen Komforts besteht, zeigt trefflich der schicke Lückenfüller selbst. Unter der Adresse „First Park“ steht er auf einer zuvor mit Schutt übersäten T-förmigen Brachfläche, die nun – nachdem sie für über 250.000 Dollar gesäubert und neu angelegt wurde – mit öffentlichen Toiletten und für die Zeit des Labs dazu mit einem Café glänzt. Diese Aufwertung des Areals, das an einen Kinderspielplatz angrenzt, ist zweifellos eine Bereicherung für die Anwohner. Gleichzeitig ging mit der Brachfläche ein innerstädtisches Refugium von Artenvielfalt verloren; ein Platz, der Tieren und Pflanzen und auch dem einen oder anderen der Homeless People eine komfortable Nische zu Überleben bot. Komfort für alle - das gibt es nicht. Dafür ist auch das an der Houston Street neu erbaute Luxusapartmentgebäude „188 Ludlow“ weithin sichtbarer Ausdruck. Gentrifizierung ist in der Lower East Side ein ganz wesentlicher Aspekt von „Confronting Comfort“.

Ausgeheckt haben das Konzept des Labs David van der Leer und Maria Nicanor, zwei junge Kuratoren des Guggenheim Museums. Ihr Plan war kein weiterer Museumssatellit, sondern ein neuartiger Raum, „ein Hybrid, an dem wir von einander lernen können“, wie David van der Leer sagt. Dieses Ziel wird in der Plattform durchaus unaufwändig und einladend umgesetzt. In ihrem unteren, offen gestalteten Bereich erinnert sie an eine luftige Garage, in der etwa 300 Leute Platz finden. Steht man dort, sieht man über sich, in einer Art zweitem Geschoss, das mit halbtransparentem Gewebe verkleidet ist, allerlei Metallkörbe und Vorrichtungen hängen. Wie sich herausstellt, sind in ihnen solche Dinge wie Leinwände, Soundsysteme, Raumteiler, Tische und Stühle verstaut, deren je unterschiedlicher Gebrauch das Lab mal zum simplen Hang out, mal zum Kino und dann wieder zum Klassenzimmer oder Konferenzraum macht. Damit das urbane Forschungslabor leicht ab- und aufzubauen und zu transportieren ist, faltet sich alles zusammen, selbst das Regendach, das wie die Trägerstruktur des Baus aus Kohlefaserstoff besteht.

Wie Bow Wow betont, fand Karbonfaser im Baugewerbe bislang keine Verwendung. Ihr Versuch muss den Autobauer interessieren. Denn der von Sportgeräten wie Fahrrädern oder Tennisschlägern bekannte Verbundstoff wird zunehmend auch im Karosseriebau genutzt. Jetzt betont das neuartige Baumaterial noch einmal den experimentellen Charakter des Labs, seinen spielerischer Ansatz mit dem Flair einer entschieden wilden Versuchsanordnung. So können Interessierte den Workshop „I meditate NY“ besuchen, bei dem es tatsächlich darum geht, wie man möglicherweise durch Meditieren die Dinge und in diesem Fall die Stadt New York neu zu sehen lernt. Neu hören wird man sie in jedem Fall während einer Exkursion, auf der man die Geräusche der Stadt sammelt und später remixen lernt.

Intrinsische Absurdität

Paradoxerweise steht und fällt der Erfolg des Labs nicht mit seinen hochkarätig besetzten Podien zu Gentrifizierung oder alternative Bau- und Wohnkonzepten, sondern just mit jenen Angeboten, die marginale, exotische und vielleicht sogar absurde Aspekte von Urbanität aufgreifen. Denn eine gewisse Absurdität ist dem ganzen Unternehmen von vornherein eigen, meint die Guggenheim Foundation doch, ausgerechnet erprobte Metropolenbewohner über städtisches Leben aufklären zu müssen. Als ob etwa New York nicht selbst schon ein großartiges Urban Lab wäre, für alle denkbaren Lebensweisen und experimentellen Alltagsentwürfe.

Entwickelt wurde das Programm vom New York Lab Team, dem Omar Freilla, Charles Montgomery, Olatunbosun Obayomi sowie Elma van Boxel und Kristian Koreman angehören. Der New Yorker Omar Freilla ist Gründer und Leiter der Green Worker Cooperative GWC, die genossenschaftlich organisierten Existenzgründern im Bereich umweltfreundlicher Produktion und Dienstleistung Beratung und Hilfestellung gibt. Charles Montgomery, preisgekrönter kanadischer Journalist, greift auf Ergebnisse der Glücksforschung zurück, wenn er den Zusammenhang zwischen städtebaulicher Gestaltung und Lebensqualität untersucht. Der nigerianische Mikrobiologe Olatunbosun Obayomi hat simple und preiswerte Biogasanlagen entwickelt, mit denen auch im kleineren Maßstab Energie aus Müll gewonnen werden kann. In Rotterdam schließlich betreiben Elma van Boxel und Kristian Koreman das interdisziplinär arbeitende Architekturbüro ZUS, das sich für seine Landschaftsgestaltung einen Namen gemacht hat. Entsprechende Teams werden auch für die Stationen Berlin und Mumbai gebildet.

Zunächst wird man aber die Situation in der Lower East Side beobachten. Was ist dort mit dem Lab gewonnen? Bringt es wirklich eine breiter gestreute Klientel und nicht nur die fachspezifisch sozialisierten, üblichen Verdächtigen ins Spiel um Zukunft der Stadt? Aber vielleicht gibt ja Lenin, der in seiner berühmten Schrift „Was tun?“ die Zusammenarbeit von bürgerlicher Intelligenz und Proletariat propagierte, der Sache tatsächlich seinen Segen. Womöglich kommen also die Mieter aus den heruntergekommenen Wohnblocks mit den Gentrifizierern von Ludlow 38 bis 188 im Lab zusammen, und alle, das Goethe-Institut mit seinem Kunstraum Ludlow 38 und die Leute, denen die Renditen ihrer Geldanlagen das Luxusapartment 188 Ludlow finanzieren, lernen voneinander. Zu schön, um wahr zu sein?

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