berliner saufmeilen
: Teufelsspirale Umsatzsucht

Unter jungen Leuten gilt Berlin als „the place to be“. Deshalb brummt in der darbenden Stadt wenigstens eine Branche: der Tourismus. Berlin gilt als heiß. Doch nun kocht es über. An der Oranienburger Straße stöhnen selbst die Wirte schon über ihre kampftrinkenden Kunden. Zwar beklagt sich kaum ein Berliner über die Trinkexzesse an Mittes einstiger Szenemeile. Den Einheimischen ist die Straße egal – sie wurde von der Liste akzeptabler Ausgeh-Orte gestrichen.

KOMMENTAR VON GEREON ASMUTH

Das ist weltweit eine typische Entwicklung in beliebten Reisezielen, die ihre Originalität unter Wert verkaufen. Fluglinien, Hoteliers und Gastwirte entdecken die Touristen als Melkmaschine. Einige versuchen mit Sonderangeboten, einen größeren Teil der Kundschaft – und damit der Umsätze – an ihre Lokalität zu binden. Dabei übersehen sie den zwangsläufig einhergehenden Verlust an Authentizität. Am Ende sind die Wirte abhängig von ihren neuen Gästen und gezwungen, deren einseitigen Wünschen nachzukommen.

Zum Glück ist die Stadt groß genug, um allen Minderheiten ein Viertelchen für ihr Vergnügen zu überlassen – selbst der Internationale der Alkoholfreunde. Schlimm wird es erst, wenn die Saufkumpanen trotz ihrer Gelage merken, dass man sie in einer Berlin nur noch ähnelnden Kulisse auflaufen lässt. Dann dehnen sie ihre Touren auf andere Orte aus – rund um Kastanienallee und Helmholtzplatz steigt bereits hörbar der Promillepegel.

Die Wirte dort sollten sich gut überlegen, ob sie kurzfristig den großen Reibach machen – oder weiterhin mit ihren Gästen aus dem Kiez Spaß am Job haben wollen. Rund um den Hackeschen Markt können die Wirte sich das nicht mehr aussuchen. Hier droht höchstens noch kalter Entzug.

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