„Dann kann man die KMK auflösen“

Die Länder sollen sich bei der Lehrerbildung endlich absprechen, fordert Winfried Willems von der AG Lehrerbildung in der Kultusministerkonferenz

WINFRIED WILLEMS, 58, ist seit 2002 Bildungsstaatssekretär im Kultusministerium von Sachsen-Anhalt. Er leitet die AG Lehrerbildung der Kultusministerkonferenz. Während seiner Tätigkeit als Lehrer praktizierte er lange Jahre nebenbei als Organist und Chorleiter.

INTERVIEW ANNEGRET NILL
, CHRISTIAN FÜLLER

taz: Herr Willems, Sie sind Lehrer und sie sind Organist. Wie würden Sie uns das Orgelspielen beibringen?

Winfried Willems: Hatten Sie schon mal Klavierunterricht?

Ein wenig, ja.

Dann würde ich Sie das spielen lassen, was Sie auf dem Klavier können. Und Ihnen ein paar Vorschläge machen, wie man dazu die Füße bewegen kann. Das ist eine gute Grundlage.

Gibt’s denn beim Orgelspielen gar keine Theorie?

Ich halte nichts davon, die Dinge in einer deduktiven Art überzustülpen. Ohne Gefühl für die Praxis des Orgelspiels fehlt schnell die Motivation. Mit praktischen Erfahrungen können sie besser verstehen, warum Register aus Holz und solche aus Metall verschieden klingen.

Übertragen auf das Lehrerstudium: Wann sollten Studierende das erste Mal Schüler live erleben?

So früh wie möglich.

Würden Sie Studenten generell schon vor dem Studium in die Schulen schicken?

Ja! Vor der Entscheidung zum Studium muss ich Gelegenheit bekommen, darüber nachzudenken, wie es mit meinen Fähigkeiten für diesen Beruf steht.

Welche sind das?

Wie führe ich ein Gespräch? Wie geht es mir, wenn ich vor einer Gruppe stehe, in der völlig verschiedene Meinungen aufeinandertreffen? Sitze ich dann da wie ein hilfloses Würstchen? Oder besitze ich im Ansatz die Kompetenzen, mit dieser Situation fertig zu werden? Das kann man ja herausfinden. Ich könnte mir vorstellen, solche Tests zum obligaten Teil einer Studienberatung zu machen.

Ist das bisher nicht der Fall?

Ich habe Lehrer erlebt, die waren am Ende des Referendariats …

das ist die praktische Lehrzeit für fertige Studenten …

… ja, der Vorbereitungsdienst. Es gibt Lehrer, die waren danach noch voller Angst, wenn sie vor einer Klasse standen. Solche Leute erscheinen dann mit ihren Problemen im Schuldienst. Leidtragende sind die Schüler. Aber Lehrer müssen sich auch Unmögliches bieten lassen. Gelegentlich wir man als unfähiger Idiot hingestellt. Es kommen Eltern, die sagen: „Welchen Unsinn haben Sie jetzt wieder unter die Klassenarbeit geschrieben.“

Wie soll man Lehrer auf solche Konflikte vorbereiten?

Sie müssen lernen, das Fachliche vom Persönlichen zu trennen.

Was bedeutet das?

Eltern, die einem nur aggressiv oder dumm kommen, akzeptieren doch sowieso keine fachliche Antwort. Wir müssen Lehrern daher das Selbstbewusstsein und die Strategien an die Hand geben, mit solchen Situationen fertig zu werden. Wir wissen, dass Lehrer mit Kritik oft ganz schlecht umgehen können.

Wie kann man Lehrern mehr Selbstbewusstsein geben?

Die Lehrer brauchen einen notwendigen Realismus. Junge Lehrer brauchen Schulleiter, die den Druck nicht noch erhöhen, sondern helfen, Prioritäten zu setzen. Da konzentriert man sich auch mal auf eine Klasse und lässt die andere eher mitlaufen. Ich habe als Schulleiter immer zu den Kollegen gesagt: „Wenn du fünf Stunden Unterricht hast, und es sind dir zwei wirklich gut gelungen, dann kannst du zufrieden sein.“

Zurück zur frühen Praxis in der Ausbildung: Wie soll der Besuch im Unterricht aussehen?

Es kann kein touristischer Besuch sein. Die Studenten dürfen nicht bloß – ich karikiere das mal! – für zwei Stunden in die Klasse einfliegen, ohne wirklich zu wissen, auf was sie achten müssen. Die Studenten sollten vier bis sechs Wochen bleiben.

In Jena werden zukünftige Lehrer vor und während des Studiums für lange Phasen in die Schulen geschickt. Das Referendariat wird dafür auf eineinhalb Jahre verkürzt. Was halten Sie davon?

Es gibt vonseiten der Kultusministerkonferenz die klare Aufforderung, die fachpraktischen Anteile im Lehrerstudium erheblich zu verstärken. Fast alle Länder sind im Gegenzug dabei, das Referendariat von zwei Jahren auf 18 Monate zu verkürzen.

Als Abschlüsse gibt es für Lehrer inzwischen den Bachelor, den Master, das althergebrachte Staatsexamen und jetzt auch noch den „kleinen Master“. Da blickt doch keiner mehr durch.

Der kleine Master ist längst vom Tisch, weil die Hochschulen gesagt haben, das geht nicht. Wir wollen aber nicht, dass die Grund-, Haupt- und Realschullehrer genauso lange studieren wie Gymnasiallehrer. Sie können deshalb mit dem Nachweis einer bestimmten Punktzahl gleich aus dem Studium in den Vorbereitungsdienst gehen …

ohne den Master?

Zunächst ohne den Master. Aber mit der Zusage, im Referendariat noch Nachweise zu erwerben, die auch die Hochschule anerkennt.

Wir würden den Studierenden raten, höllisch aufzupassen, dass sie ihren Master wirklich bekommen! Haben Sie das Vertrauen, dass alle Länder und Hochschulen umsetzen, was sie in der Kultusministerkonferenz, kurz KMK, beschließen?

Wir werden uns darum bemühen, die Bedingungen genau zu definieren, unter denen die Hochschulen den Master an Referendare vergeben. Denn ich habe die Sorge, dass die Lehrerausbildung noch weiter auseinanderdriftet, als sie sowieso schon gedriftet ist. Wir sind ja auf einen Weg geraten, den ich mir nicht hätte träumen lassen.

Was meinen Sie?

Der Bildungsföderalismus ist auf der einen Seite dadurch beschrieben, dass man sich um verbindliche Vereinbarungen, etwa gemeinsame Bildungsstandards, bemüht. Und auf der anderen Seite sind Länder der Auffassung: „Wie wir das organisieren, ist einzig unsere Sache.“ Und stellen damit andere Länder sozusagen vor vollendete Tatsachen. Dabei sind die Fragen der gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse und vor allem der Mobilität der Studierenden vorher zu klären.

Wo sehen Sie das Problem?

Ich halte es in einigen Bereichen für hochproblematisch, wie wir mit den Berufschancen von Studierenden umgehen. Das Bemühen der Lehrerarbeitsgruppe in der Kultusministerkonferenz war, im Interesse der Studierenden zu einer gewissen Einheit zu kommen und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ist das Handeln der KMK noch verantwortlich?

Ich spreche nicht für das Plenum der Kultusminister. Aber als Kovorsitzender der Lehrer-AG beobachte ich mit großer Sorge, dass die Übereinstimmung in der KMK sehr schnell am Ende ist, wenn es um Partikularinteressen geht.

Ist die Kultusministerkonferenz eigentlich das geeignete Gremium, um die Bildungsfragen auf eine sinnvolle und für den Bürger durchschaubare Art gemeinsam zu bearbeiten?

Ich halte diesen Weg für alternativlos. Wenn es uns aber nicht gelingt, in wesentlichen Fragen wie den Standards für die Abschlüsse und die Lehrerbildung übereinzukommen und dabei reine Formelkompromisse zu vermeiden, dann kann man die KMK auflösen.

Das haben wir schon oft gehört.

Das ist meine Überzeugung, Ich sage, wenn uns das jetzt nicht gelingt, dann haben wir ein richtiges Desaster. Dann würde sich die KMK in wesentlichen Fragen als handlungsunfähig erwiesen haben. Das hielte ich für eine außerordentlich schwierige Situation – gerade nach der Föderalismusreform.kläre

Können Sie sich vorstellen, in weniger als zehn Jahren mit den KMK-Leuten ein Stück einzuüben?

Das kommt auf das Stück an. Den Beteiligten ist die Situation klar. Ich zitiere mal einen Kollegen: „Wenn ich mir die Entscheidungswege der Kultusministerkonferenz anschaue, dann könnte ich manchmal entweder zum Separatisten oder zum Zentralisten werden.“ Den Satz kann ich als Mahnung, unsere Verantwortung wahrzunehmen, unterschreiben.

2001, nach Pisa, war einer der meistgeäußerten Sätze Ihrer Zunft: Wir müssen die Lehrerbildung reformieren.

Ja.

Und wir reden 2007 und stellen fest: Weite Teile sind nicht harmonisiert. Es ist zum Beispiel nicht klar, ob die beschlossenen bildungswissenschaftlichen Standards auch umgesetzt werden.

Jetzt mal langsam. Die Standards der Bildungswissenschaften sind inzwischen in allen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der Länder verankert. Ich hab das abgefragt.

Sie haben das abgefragt? Dann bekommen Sie ein Fleißbienchen.

Ja, wir evaluieren das! Der Vorwurf des Nichtstuns ist falsch. Auch die Entwicklung gemeinsamer inhaltlicher Anforderungen an das Studium der Unterrichtsfächer läuft auf Hochtouren. Wir werden im Oktober ein Zwischenergebnis vorstellen, im Herbst 2008 wird es so weit sein.

Wow! In allen Fächern? Und das wird beschlossen?

Ja, das hoffe ich.

Teil III der Lehrerbildungsserie „Lehren lernen“. Fortsetzung folgt