Kinder von NS-Opfern fordern deutsche Hilfe

Nachkommen von Schoah-Überlebenden brauchen in Israel psychologische Betreuung. Regierung soll Kosten tragen

BERLIN taz ■ Folgt man der Schilderung von Baruch Mazor, haben sich am Montag im Foyer der deutschen Botschaft in Tel Aviv absurd-beschämende Szenen abgespielt: Mazor, der die Wohltätigkeitsorganisation „Fisher Fund“ in Israel leitet, berichtet, dass ein Rechtsanwalt seiner Stiftung die Kopie einer Sammelklage in der deutschen Vertretung abgeben wollte – die Annahme jedoch verweigert wurde. Der Schriftsatz mit der Klage gegen die Bundesrepublik wurde demnach von Angestellten der Botschaft nicht angenommen, sondern vielmehr immer wieder zwischen Foyer und Aufzug, der zu den Botschaftsräumen führt, hin- und her geworfen. „Eine sehr beschämende Situation“, kommentiert Mazor.

Worum geht es? Mazor vertritt nach eigenen Angaben etwa 4.000 bis 5.000 Israelis, die Kinder von Holocaust-Überlebenden sind und in Folge der traumatischen Erlebnisse ihrer Eltern selbst unter psychischen Problemen zu leiden haben. Bei einem Bezirksgericht in Tel Aviv haben diese Menschen nun eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht, damit die Bundesrepublik für die Kosten der psychotherapeutischen Behandlung dieser indirekten Opfer des Holocaust aufkommt.

In einem Gespräch mit der taz verwies Mazor auf Statistiken, wonach es in Israel etwa 400.000 Menschen der sogenannten „2. Generation“ der Schoah-Opfer gibt. Von diesen hätten rund 5 Prozent, also 15.000 bis 20.000 Menschen, psychische Probleme aufgrund der Traumata in ihrer Überlebenden-Familie. Ein paar Tausend von diesen wiederum seien sogar arbeitsunfähig – und deshalb kaum in der Lage, die Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung aufzubringen. Es sei davon auszugehen, dass – nach ähnlichen Erfahrungen in den Niederlanden – solche Menschen zwei therapeutische Sitzungen pro Woche über drei bis vier Jahre bräuchten. Wenn man pro Sitzung Kosten von etwa 50 bis 60 Euro ansetze, gehe es um höchstens 100 Millionen Euro. Das zu zahlen sei für die deutsche Regierung doch „lächerlich – das schafft sie mit dem kleinen Finger“, sagte Mazor der taz.

Natan Kellerman stimmt dieser Einschätzung zu, es handle sich dabei doch um „keine große Summe“, sagte er der taz. Kellerman ist Chefpsychologe und Direktor der Organisation Amcha, die sich weltweit um die Betreuung von Holocaust-Überlebenden und ihrer Kinder kümmert. Die „2. Generation“ leide vor allem dann besonders unter den Spätfolgen des Massenmords, wenn sie entweder in den Konzentrationslagern der Nazis selber geboren sei oder in den Flüchtlingslagern, die nach dem Krieg für die Überlebenden eingerichtet wurden. Auch die später etwa in Israeli geborenen Kinder von Überlebenden seien häufig betroffen, weil in vielen Familien ein Tabu geherrscht habe, über diese Zeit zu sprechen. Zudem habe die Überforderung der Kinder durch die Erwartungen ihrer überlebenden Eltern teilweise negative psychische Konsequenzen gehabt.

Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte, es wolle sich zunächst nicht zu dem laufenden Verfahren äußern. PHILIPP GESSLER