Wackelpudding statt Blut

PFLEGE Die Pflegeschule an der Hamburger Bürgerweide will neue Azubis gewinnen und sie möglichst praxisnah unterrichten – mit PatientInnen aus Plastik

Ein „Rezeptbuch“ erklärt, wie blutiger Stuhlgang oder verschiedene Mageninhalte so naturgetreu wie möglich „nachgekocht“ werden können

VON SEBASTIAN SCHULTEN

In der Pflegeschule an der Bürgerweide in Hamburg sieht es aus wie in einem Krankenhaus: In einem Zweibettzimmer sind PatientInnen untergebracht, eine davon liegt verkabelt und zugedeckt im Bett. Ein Computer zeigt Herzfrequenz und Blutdruck an, das typische Piepen des Geräts simuliert den funktionierenden Kreislauf eines Menschen. Hier liegen aber keine Menschen, sondern Puppen.

Die Verkabelte trägt den Namen „Nursing Anne“ und soll mit ihren MitpatientInnen ab 2015 fester Bestandteil der Gesundheits- und Krankenpflege-Ausbildung an der Bürgerweide werden. Bis dahin müssen sich alle Lehrkräfte fit machen für den Einsatz der komplexen Puppen, mit denen Pflege-Szenarien nahezu authentisch durchgespielt werden können.

„Nursing Anne besitzt in ihrem Inneren ein Reservoir, das mit verschiedenen Flüssigkeiten befüllt werden kann“, sagt Bernd Wallner, examinierter Krankenpfleger sowie Gesundheits- und Pflegepädagoge. Das der Puppe beigelegte „Rezeptbuch“ erklärt, wie blutiger Stuhlgang oder verschiedene Mageninhalte so naturgetreu wie möglich „nachgekocht“ und in die Puppe gefüllt werden können. Für täuschend echt wirkende Nachgeburts-Koagel beispielsweise muss Wackelpudding gekocht, mit Lebensmittelfarbe und Jod gefärbt, nach dem Abkühlen püriert und auf einer Mullbinde oder Windel verteilt werden.

Nursing Anne besitzt außerdem ein Mikrofon und einen Lautsprecher in ihrem Mund. Damit kann sie sprechen, schreien oder sich erbrechen – je nach Krankheitsbild. Die PflegeschülerInnen sollen ihre Symptome erkennen und angemessen auf sie reagieren: „Sie sollen in erster Linie den Umgang mit einem Patienten lernen und Handgriffe aus der Theorie in die Praxis übertragen“, sagt Wallner.

Neue Ausbildungsmethoden wie diese sollen Pflege-Azubis anlocken. Denn in den vergangenen zehn Jahren, seit Gründung der Schule am Bürgerpark, habe der Beruf sehr mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen, sagt die stellvertretende Schulleiterin Leanne Röhmeier. Dies sei vor allem der öffentlichen Wahrnehmung geschuldet. „Im Zusammenhang mit Pflege geht es dort häufig nur um Altenpflege“, sagt sie. „Die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger umfasst inhaltlich jedoch viel mehr.“ Durch die Zusammenarbeit der Schule mit fünf Krankenhäusern in Hamburg hätten Auszubildende die Möglichkeit, verschiedenste Pflegebereiche kennenzulernen.

Die PflegeschülerInnen Etienne und Sabrina haben ihre Ausbildung 2013 angefangen. „Zu meinen Aufgaben gehört, das Essen auszuteilen, die Körperpflege, das Trösten der Patienten oder das Führen von Beratungsgesprächen“, sagt Etienne, der momentan seine Praxisstunden in der Lungenklinik Großhansdorf leistet. „Man hört immer die Klischees, dass alle Schwestern gestresst und schlecht gelaunt sind, doch das stimmt nicht.“ Sabrina sieht das ähnlich: „Viele Freunde sagen zu mir, dass sie meine Arbeit nicht machen könnten. Klar wird es auch mal stressig, aber das fordert mich gerade.“

Pflege genießt keinen guten Ruf, das wissen auch die Lehrenden der Pflegeschule an der Bürgerweide. Noch habe man dort allerdings nicht das Problem, die 275 Ausbildungsplätze zu besetzen, sagt Röhmeier. Allerdings hätten sich die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern in den vergangenen Jahren nicht verbessert: Zur körperlich anstrengenden Arbeit und den Schichtdiensten kommen Personalmangel und schlechte Bezahlung hinzu – die Konsequenz ist, dass immer weniger junge Menschen den Pflegeberuf lernen wollen. Hier sind die Krankenpflegeschulen gefragt: „Wir müssen uns überlegen, wie wir uns besser verkaufen und das Image des Berufes verbessern können“, sagt Röhmeier. Ein Anfang ist „Nursing Anne“.