Undercover bei der Antifa

Kaweh K. wird zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, weil er bei einer Antifa-Demo zwei Steine in Richtung Polizeiketten geworfen hatte. Bezeugt wurde das von einem Undercover-Beamten

Das raffinierte Konzept, das die Bundespolizei Nord mit ihrer Festnahmeeinheit aus Uelzen am 14. Oktober 2006 praktizierte, stammt aus Hamburg. Dort wurde 1991 die Strafverfolgungseinheit „FD 942“ aufgestellt. Das Konzept: moderne Technik, um Sachverhalte und Personenbeschreibungen durchzugeben, unauffälliges Observieren durch szeneadäquates Verhalten, danach Observation durch andere Personen bis zum Zugriff. Der erfolgt dann laut Konzept nach Ende der Aktion, damit es zu keiner Solidarisierung kommt.  KVA

VON PETER MÜLLER

Wenn der Polizist Andreas St. – Mitglied einer speziellen Festnahmeeinheit der Bundespolizei Nord – gestern im Zeugenstand von „wir“ sprach, dann meinte er nicht originär seine Kollegen. Unter „wir“ verstand er vielmehr den Angeklagten Kaweh K., seine „weibliche Begleiterin“, die vielen militanten Antifa-Aktivisten, die versuchten, am 14. Oktober 2006 in Wandsbek einem Neonazi-Treck den Weg zu versperren, sowie sich selbst und seine undercover eingesetzten Kollegen, die dem Treiben stundenlang beiwohnten. Der holländische Student Kaweh K., 23, ist nun nach der Aussage von St. und im Zuge eines Deals – Geständnis und Distanzierung gegen Milde – vom Amtsgericht Wandsbek zu einem Jahr Haft auf Bewährung wegen zweifachen schweren Landfriedensbruchs in Verbindung mit versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden.

Andreas St. war damals mit mehreren Kollegen seiner Einheit in Zivil bei der PDS-Gegenkundgebung eingesetzt. Als sie bemerkten, dass mehrere hundert Antifa-AktivistInnen sich auf den Weg zum Bahnhof Hasselbrook machten, wo die Nazi-Demo enden sollte, mischten sich die Undercover-Beamten unter die Antifa. Irgendwann sei ihm Kaweh K. aufgefallen, sagt St., wegen der Vermummung –Sonnenbrille, Halstuch – und da er als „einer der Aktivisten wirkte“. St. und mindestens zwei seiner Kollegen hefteten sich an seine Fersen. Sie sahen, wie Kaweh K. einen schweren Glascontainer auf die Straße kippte und zwei Kieselsteine aufnahm. „Ich war immer in seiner Nähe“, so St., „mal zehn Meter, mal nur einen Meter entfernt.“

Als auf der Wandsbeker Chaussee eine Festnahmeeinheit mit der Räumung der Straße begann, habe er den ersten Steinwurf von K. gesehen. „Dann rannten ‚wir‘ alle weg, ich musste ja auch loskommen.“ Ob K. getroffen habe, könne er nicht sagen, ergänzt St. Während des Wegrennens habe sich K. noch einmal umgedreht und habe versucht, erneut mit dem anderen Stein zu werfen, doch seine Begleiterin habe ihn „am Arm gezogen“ und abgehalten.

Dann sei er zur PDS-Kundgebung zurückgegangen. „Dort haben ‚wir‘ einigen Augenblicke herumgestanden“, berichtet St. Da K. seine Vermummung abgenommen habe, hätte er zum ersten Mal sein Gesicht gesehen. Danach sei es wieder zum Hasselbrook-Bahnhof durch den Jacobi-Park gegangen. ‚„Wir‘ konnten erkennen, dass Wasserwerfer vor dem Bahnhof auffahren.“ K. habe mehrfach zum Wurf mit dem zweiten Stein angesetzt, obwohl die Lage „relativ entspannt“ gewesen sei. „Dann kam es tatsächlich zu Würfen, erst eine Flasche, dann der Stein“, beteuert St. Ob etwas getroffen worden sei, könne er wieder nicht sagen: ‚„Wir‘ sind dann sofort wieder in den Park gerannt.“ Danach seien sie weiter durch die Gegend gelaufen. „Dabei sind ‚wir‘ über diverse Nebenstraßen und Hinterhöfe – mal gegangen, mal gerannt.“ Erst wesentlich später nach Ende der Nazi-Demo sind Kaweh K. und seine Begleiter – für sie völlig überraschend – auf einer Parkbank sitzend von uniformierten Polizisten festgenommen worden. K. musste zwei Wochen in Untersuchungshaft ausharren.

„Sie beobachten Straftaten, greifen aber nicht ein?“, fragen Kaweh K.s Anwältinnen Britta Eder und Daniela Hödl ein wenig irritiert. „Der Eingriff hat begonnen, wo ich anfange, den Angeklagten zu beobachten“, rechtfertigt Polizist St. die Undercover-Strategie. Er habe zwar „körperlich nicht selbst eingegriffen“, er habe aber sämtliche Vorfälle an seine uniformierten Kollegen der Einheit weitergeben.

Auch wenn der Deal schon vorher in einem Rechtsgespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen Richterin, Staatsanwältin und Verteidigerinnen ausgehandelt war – K. hatte zuvor erklärt, sein Ideal sei, den Faschismus zu bekämpfen, aber so etwas würde er nie wieder tun –, brachten dennoch die Verteidigerinnen in den Plädoyers ihr Befremden über das Polizeiagieren zum Ausdruck. Wenn alle Taten unter Beobachtung der Polizei stattgefunden haben, frage sich schon jeder, warum die Polizei nicht eher eingreife und mögliche Verletzte verhindere, sagt Eder. „Das scheint nicht das Konzept zu sein.“ Fraglich sei auch, ob der Tatbestand des Landfriedensbruchs überhaupt erfüllt sei, „wenn eine angeblich gewalttätige Gruppe von 20 Leuten zur Hälfte aus Polizeibeamten besteht“.