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Wenn Seekühe unter Wasser singen

Aufräumen mit den ewig lebendigen Mythen von Hafen und Meer: Die Ausstellung „Fish and Chips“ im Hamburger Kunsthaus zeigt eine nicht ganz stringente, aber spannende Mischung aus kritischen, rein ästhetischen und urkomischen Werken renommierter und jüngerer Künstler zum Thema

VON PETRA SCHELLEN

Dieses Kunstwerk ist vielleicht ein bisschen platt. Aber es funktioniert. „Zieht Söhne groß. Und vergebt mir, dass ich nicht mehr für unsere Soldaten tun konnte.“ So oder so ähnlich lautete, was General Wjatscheslaw Popow 2001 sagte, nachdem das russische U-Boot „Kursk“ und mit ihm 118 Seeleute untergegangen waren.

Die Künstlerin Jenni Tietze hat das Zitat in ihre puppenstubenhafte Arbeit integriert, die programmatisch für die aktuelle Schau im Hamburger Kunsthaus ist: Auf einer gläsernen Vitrine – einem gläsernen Sarg? – stehen Matrosenfigürchen. Darunter, quasi unter Wasser, finden sich Kinder in Laufställchen, in brav sozialistischer Manier von Aufpasserinnen betreut. An der Wand Glasplättchen wie im Chemielabor: Blut- beziehungsweise Farbproben der Ertrunkenen; ein interessantes Experiment war die Kursk für die Herrschenden, nichts weiter.

„Fish and Chips“ heißt die Ausstellung, die sich als rebellischer Counterpart zur „Seestücke“-Schau in der Hamburger Kunsthalle versteht (taz berichtete). Und da das Kunsthaus nicht zu den großbürgerlich-arrivierten Institutionen zählt, ein winziges Budget und einen unscheinbaren Platz auf der Kunstmeile hat, kann es zeigen, was die Kunsthalle nicht wagt: kritische Arbeiten renommierter und junger Künstler, die nicht konform gehen mit dem Mythos vom „Abenteuer Hafen und Meer“.

„Große Seeschlacht“ heißt zum Beispiel ein Gobelin von Margret Eichler, auf dem ganz nebenbei ein paar niedliche Atompilze aufsteigen. Und im Vordergrund fliegen einem Flugsaurier entgegen, die Adhoc-Mutanten oder Abkömmlinge der Kriegsflugzeuge sein könnten. Desdemona, Neptun und anderes mythologisches Personal wuselt vorn auf Rettungsbooten. Ein perfides Heldenstück, eine Trophäe, die einem Pubertierenden mit Allmachtsfantasien gefallen könnte. Ein spannungsreicher Material- und Genremix außerdem, dienten die flämischen Gobelins des 17. und 18.Jahrhunderts doch der Glorifizierung der Herrschenden und hingen in Schlössern und großbürgerlichen Wohnzimmern. Margret Eichler hat aber nicht nur Hehres dargestellt, sondern auch das berühmte Foto von Angela Merkels Besuch in der Hütte mecklenburgischer Fischer auf einen solchen Teppich gebannt. Ein überzeugendes Beispiel der Lebend-Mumifikation von Geschichte.

Daneben wirken die Fotos von Bootsflüchtlingen fast zu brav, bilden sie doch eins zu eins ab, welchen Zwecken das Meer dienen kann. Aber eine solche Ausstellung ist ja nicht verpflichtet, durchweg durch Genrebrüche auf sich aufmerksam zu machen, wenn auch die kleinen, feinen Werke – Bethan Huws „Moses“-Boote etwa – leicht ironisch auf den vielleicht ersten Ausgesetzten unserer Zivilisation verweisen. Und wenn man es auch überholt finden mag, den Mythos „Meer“ zu entblättern: ein aktuelles Thema ist dies in Küstennähe immer – zumal der Mythos von Meer und Hafen als Areal der großen Freiheit tief im Bewusstsein sitzt: Wie ein Poseidon taucht Elmar Hess auf drei Fotos als Riesenkopf im Hafenbecken auf; wie in Vulkans Werft wird an seinen Zähnen geklempnert, als sei er ein zu reparierendes Schiff. Aber es ist natürlich nicht er, an dem repariert und geschweißt wird: Es ist der Mythos Hafen, auf den nostalgisch schwarzweißen Fotos so adrett evoziert, der immer wieder auf Hochglanz poliert wird und der im eigentlichen Sinne gar nicht mehr existiert, sind ihm doch längst die Ingredientien – Schauerleute und Kräne etwa – abhanden gekommen.

Deshalb muss das, was für „Hafen“ steht, immer wieder illuminiert werden. Ian Burns tut das gern: Mit Hilfe eines Kurzschlusses werden in seinem kleinen Schattentheater Delphin und Schiff in Position gebracht. Auf dem nächsten Bild schaukelt das Boot ruhig auf den Wellen. Aber – ist es nicht ein Kriegsschiff? Ach was, nicht so genau hinschauen, wird schon alles seine Ordnung haben; kommt ja schon der nächste Kurzschluss, zum Nachdenken keine Zeit. Eine treffende Erklärung für die Langlebigkeit von Stereotypen.

Das Meer als Raum der großen Freiheit – das meint auch die Drei-Meilen-Zone vor den Küsten, innerhalb derer alles erlaubt und möglich ist: Abtreibung auf hoher See zum Beispiel, wie sie die mobile Klinik der „Women on Waves Foundation“ betreibt. Das Atelier Van Lieshout hat Zeichnungen des Boots und seiner Ausrüstung gefertigt. Im Kunsthaus hängen sie neben Fotos von – auch auf offener See praktiziertem – Greenpeace-Protest gegen Walfang und Verklappung. Und dann wäre da noch das Königreich „Principality of Sealand“, das Roy Bates 1967 auf einer britischen Verteidigungsplattform vor der Ostküste Großbritanniens gründete. Ein Kuriosum, das Symbol für die universelle Verfügungsmasse Meer, die sich jeder aneignen kann. Was auch jeder tut – und sei es, um Seekühe zu filmen, wie es Dirk Meinzer für eins seiner Videos tat. Diese Tiere nämlich sollen Odysseus’ „Sirenen“ gewesen sein, und der Künstler wollte einfach mal wissen, wie die aussehen. Ein gewolltes, aber urkomisches Beispiel des Meeres und seiner Nutzbarkeit – zum Beispiel durch die Kunst.

Ein bisschen allerdings verliert die Schau an dieser Stelle an Stringenz – wenn es auch löblich ist, das Video von Charles und Ray Eames von 1970 zu zeigen, das die Schönheit der Quallen mit klassischer Klaviermusik zum perfekt-künstlichen Meditationsobjekt verknüpft. Nicht übermäßig politisch sind auch die Fotos russischer Elite-Kadetten und die eines Matrosen-Altersheims in Italien.

Andererseits dann das langsame, auf 14 Blättern inszenierte Sterben Martin Kippenbergers, der schaut, sitzt, kämpft und, schließlich am Boden liegt. Der Titel – „Das Floß der Medusa“ – bietet die einzige Verbindung zum Motto der Schau, die sich nicht ganz entschied, was sie sein will: ein Politicum, ein Ästheticum oder eine Ansammlung von Informationen. Eine fesselnde, streckenweise sogar urkomische Collage ist sie trotzdem geworden.

Die Ausstellung ist bis 26.8. im Kunsthaus Hamburg zu sehen.

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