Drei Wochen lang Kraft tanken

Seit April gehören Mütter- und Mutter-Kind-Kuren zu den Pflichtleistungen der Krankenkassen: eine gute Nachricht für Eltern, die ihr stressiger Alltag krank macht. In Norddeutschland gibt es einige Kureinrichtungen, die sie mit Extras empfangen

VON KARIN CHRISTMANN

Die Gesundheitsreform, die am 1. April 2007 in Kraft trat, machte vor allem negative Schlagzeilen. Eine Freude für Eltern ging dabei unter: Mutter-Kind-Kuren sind zur Pflichtleistung der Krankenkassen geworden. Zwar kann eine Krankenkasse noch Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit einer Kur anmelden. Aber wenn die glaubhaft gemacht werden kann, muss die Kasse die Kur bezahlen. „Wir erwarten für Mütter ein leichteres Antragsverfahren und deutlich mehr Bewilligungen von Anträgen“, teilt das Müttergenesungswerk mit, der Zusammenschluss der Wohlfahrtsverbände für die Gesunderhaltung von Müttern.

Der Weg zur Kur ist einfacher geworden, doch ist eine Kur nach wie vor eine medizinische Maßnahme und kein Urlaub auf Krankenschein. Wer zur Kur fährt, muss seine körperlichen und seelischen Energiereserven wieder auffüllen, um gesund zu werden oder zu bleiben. Wo liegt also die Grenze zwischen einfacher Erschöpfung und Kurbedürftigkeit? Das sei ein „Zankapfel“ sagt Stefanie Sperlich vom hannoverschen Forschungsverbund Prävention und Rehabilitation für Mütter und Kinder, denn eine genaue Definition gebe es nicht. Die Grenze sei erreicht, wenn Eltern ihren Alltag nicht mehr geregelt bekämen oder wenn ihnen die Hand ausrutsche, findet Schwester Gratiana, die die Kureinrichtung Maria Meeresstern in Timmendorfer Strand leitet. „Kuren sind erstaunlich erfolgreich“, sagt Sperlich, und zwar vermutlich gerade deshalb, weil die Beschwerden der Frauen vor einer Kur meistens noch nicht chronisch seien. Sie stellte fest, dass es Eltern auch ein Jahr nach ihrer Kur noch deutlich besser gehe als vor der Maßnahme – wahrscheinlich weil sie in der Kur lernten, besser mit Belastungen umzugehen.

Zu Beginn einer Kur werden Therapieziele und ein Therapieplan festgelegt. In den folgenden drei Wochen hat eine Patientin rund 40 Anwendungen: von der klassischen Physiotherapie mit Krankengymnastik und Massage über psychologische Gespräche bis zu kreativen und sportlichen Angeboten oder einer speziellen Beschäftigung mit der Mutter-Kind-Beziehung. Im Therapiezentrum des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Mardorf nahe Hannover wird der Begriff ‚Kind‘ besonders großzügig ausgelegt. „Manche unserer ‚Kinder‘ sind 40 oder 50 Jahre alt, und ihre Mütter sind bis zu 80“, sagt Leiterin Margit Blondke. Der Grund: Im DRK-Therapiezentrum können Eltern, die behinderte Kinder betreuen, zur Kur fahren. Die übliche Altersgrenze von zwölf Jahren gilt deshalb nicht. Auch Kinder, die noch keine drei Jahre alt sind, können nach Absprache aufgenommen werden. Die Kinder, ob geistig, körperlich oder mehrfach behindert, werden sieben Stunden am Tag betreut, damit die Eltern neue Kraft für ihren stressigen Alltag sammeln können. Viele kämen wegen der Schäden am Bewegungsapparat, die die Pflege behinderter Kinder verursache, sagt Blondke.

Auch für Eltern nichtbehinderter Kinder gibt es Häuser, die besonders viel Wert auf Kinderbetreuung legen, zum Beispiel Maria Meeresstern. Rund die Hälfte der Kinder sei unter drei Jahre alt, sagt die Leiterin Schwester Gratiana. Unter der Woche werden die Kinder jeden Tag siebeneinhalb Stunden betreut, und auch am Wochenende gibt es Angebote. „Die Mütter sollen in Ruhe ihre Anwendungen wahrnehmen“, sagt Schwester Gratiana – oder sie können mal mit einem ihrer Kinder etwas allein unternehmen. „Im Alltag kommt gerade das älteste Kind oft zu kurz.“ Auch deshalb ist eine Mutter-Kind-Kur mehr als eine Notlösung für Alleinerziehende, die ihr Kind für drei Wochen nirgends unterbringen und deshalb nicht alleine fahren können: Sie ist auch eine Gelegenheit, ohne Alltagsstress Zeit mit den Kindern zu verbringen.

Das DRK-Therapiezentrum und das Haus Maria Meeresstern gehören zum Müttergenesungswerk. In ganz Deutschland gehören ihm 85 Häuser an, die Kuren für Mütter mit oder ohne Kinder anbieten. In Norddeutschland sind es 40. Sie stehen beinahe alle an der Küste und sind wegen des Seeklimas oft auf Atemwegs- und Hauterkrankungen spezialisiert. Ungefähr noch einmal so viele Betten wie das gemeinnützige Müttergenesungswerk stellen private Anbieter. Die seien genauso gut, sagt Forscherin Sperlich – allerdings ist das Angebot dort unübersichtlicher, denn die Privaten sind nicht einheitlich organisiert. Das Müttergenesungswerk hingegen bietet auf seiner Website einen Überblick über seine Kureinrichtungen und auch über die Beratungsstellen, die das richtige Angebot heraussuchen.

Erst einmal kommt es natürlich auf die Indikation an: Liegen Rückenbeschwerden oder gynäkologische Erkrankungen vor, hat eine Mutter ein chronisches Erschöpfungssyndrom oder eine Stoffwechselerkrankung? Aber auch andere Wünsche spielen eine Rolle: Möchte die Frau lieber auf eine einsame Insel oder in ein kleines Städtchen? Es sind tatsächlich meistens Mütter, die alleine oder mit ihrem Kind zusammen zur Kur fahren. „Der Anteil der Väter ist sehr gering“, sagt Forscherin Sperlich. Manchmal nehmen sie einfach an einer Mutter-Kind-Kur teil. Andere Häuser warten, bis sich genügend Väter für eine eigene Vater-Kind-Kur angemeldet haben.

Eigentlich sollte es Müttern wie Vätern schon 2002 erleichtert werden, zur Kur zu fahren. Damals wurde die Vollfinanzierung durch die Krankenkassen eingeführt. Die reagierten aber kreativ und bewilligten kurzerhand viel weniger Kuren. Deshalb gehören die dreiwöchigen Kuren jetzt zu den Pflichtleistungen. Eltern müssen außer einer Zuzahlung von zehn Euro pro Tag keine Kosten tragen. Außerdem wurde der Grundsatz „ambulant vor stationär“ für Mutter-Kind-Maßnahmen für ungültig erklärt. Früher fußte jede zweite Ablehnung hierauf, heißt es beim Müttergenesungswerk. „Bei Müttern hängt die gesundheitliche Beeinträchtigung oft ganz eng mit ihrer Lebenssituation zusammen. Deshalb ist es so wichtig, sie aus dieser Situation für einige Zeit herauszuholen“, sagt Forscherin Sperlich.