Deutsches Bildungssystem gilt als Vorbild

Auf einem internationalen Kongress in Berlin wird diskutiert, wie man weltweit den Hunger nach Wissen stillen kann

BERLIN taz ■ Freier Zugang zu Bildung weltweit – das ist die Hauptforderung des 5. Weltkongresses der Bildungsinternationalen (BI), die morgen in Berlin eröffnet wird. Fünf Tage lang wollen etwa 1.600 Lehrer und Bildungsgewerkschafter aus aller Welt über Bildung und soziale Gerechtigkeit diskutieren.

Das Recht auf Bildung ist noch lange nicht überall verwirklicht. Mehr als 100 Millionen Kinder haben keinen Zugang zu Grundbildung, sie hungern nach Wissen. Die UN-Mitgliedstaaten verpflichteten sich zwar in der sogenannten Millenniumserklärung, dafür zu sorgen, dass bis 2015 alle Kindern eine gebührenfreie Grundbildung erhalten. Doch fehlen dafür noch etwa 18 Millionen Lehrer. „In punkto Zugang zu Bildung kann Deutschland durchaus als Vorbild für viele Länder gelten“, meint deshalb Kongress-Sprecherin Nancy Knickerbocker.

Bei Vernor Muñoz, UN-Sonderberichterstatter für Bildung, klang das noch ganz anders, als er vor einem Jahr durch Deutschland reiste: Das soziale Gefälle, das sich an den Schulen widerspiegelt, sei zu stark. Soziale Ungleichheit und Bildungsarmut gingen in Deutschland oft Hand in Hand. Ein Hauptkritikpunkt: Die Aufteilung von Zehnjährigen in verschiedene Schultypen. Viele Schüler blieben deshalb weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Besonders davon betroffen: Kinder mit Migrationshintergrund, die die Schule überproportional häufig ohne Abschluss verlassen – und noch häufiger im Anschluss an die Schulzeit keinen Ausbildungsplatz erhalten.

Auf dem Kongress kommende Woche in Berlin will Muñoz seine Kritik wiederholen. Denn bei allem Glück, dass die Kinder hier im internationalen Vergleich haben – gerecht ist das deutsche Bildungssystem deshalb noch lange nicht. Auch ist der Zugang zu Bildung für viele Kinder begrenzt. Ludwig Eckinger, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), ist daher der Meinung, dass Deutschland in punkto Bildung auch viel von anderen Ländern lernen kann. Beispielsweise von Finnland. „Dort hat Bildung einen ganz hohen Stellenwert“, sagt er, „und das gilt auch für diejenigen, die das Wissen vermitteln dürfen.“ Er wünscht sich, dass der Beruf des Lehrers auch in Deutschland stärker anerkannt wird und bessere Rahmenbedingungen für angehende Lehrer geschaffen werden. Sehr kritisch sieht er den Trend zum „Billiglehrer“, wie er sich etwa in Baden-Württemberg abzeichnet. An den dortigen Hauptschulen werden sogenannte Assistenzlehrer zu einem geringeren Lohn beschäftigt. „Der Quer- und Seiteneinstieg in den Lehrberuf darf nicht normal werden“, fordert der VBE-Chef und kritisiert, dass die Politik den Schweinezyklus noch immer nicht unter Kontrolle gebracht habe. Mit „Schweinezyklus“ bezeichnet man den üblichen Wechsel zwischen Lehrerüberschuss und Lehrermangel. Gerade erst haben tausende arbeitslose Lehrerinnen und Lehrer in Stuttgart demonstriert.

Die Erwartungen an den Kongress sind hoch. Nancy Knickerbocker etwa hofft, dass an seinem Ende ein Handlungsplan gegen die weltweite Bildungsarmut stehen wird. ANNEGRET NILL