Anarchie, Ekstase, Reife

PUNK-CABARET Die World/Inferno Friendship Society ist wieder in der Stadt. Das neue Album der Band, die keine sein will, irritiert mit ungewohnt dunklen Zwischentönen

Ihre Musik besitzt bei allem Frohsinn und Witz ein Gift, einen fast schon zynischen Unterton, der nur scheinbar im Widerspruch zu ihrer überbordenden Vitalität steht

von Andreas Schnell

Es war wohl im Jahr 1998, als die World/Inferno Friendship Society zum ersten Mal in Bremen gastierte, damals noch im Keller des Naturfreundejugendhauses in der Buchtstraße. Seitdem ist die Brooklyner Formation, die sich eher wie ein Kollektiv versteht und ausdrücklich keine Band sein will, in wechselnden Besetzungen regelmäßig in der Stadt zu sehen. Seit ein paar Jahren haben sich die Bande nach Bremen gar noch verfestigt: In Deutschland erscheinen die Platten der Friendship Society nämlich inzwischen bei dem in Bremen ansässigen Label Gunner Records.

Gerade ist ebendort auch das neue Album der World/Inferno Friendship Society erschienen. Es trägt den wunderbaren Titel „The Anarchy And The Ecstasy“ und bietet eine moderate Weiterentwicklung dessen, was die Band auf Bühne und Tonträger seit Jahren kultiviert. Ihre Musik speist sich seit jeher aus verschiedensten Einflüssen, die mit einem Drive zusammengeführt werden, die sich aus der Punkszene erklären lässt, der die meisten der rund 30 Mitglieder des Kollektivs entstammen. Soul, Klezmer, Swing und noch einiges mehr lassen sich im Sound der Band wiederfinden.

Während in den Anfangsjahren die Plattenveröffentlichungen der Brooklyner die geradezu legendäre Bühnenenergie nicht einfangen konnten, gelang dies auf den letzten Alben durchweg. Auch wenn die World/Inferno Friendship Society nicht zuletzt immer auch ein visuelles Phänomen ist und Sänger Jack Terricloth auf der Bühne seine Qualitäten erst völlig entfaltet.

„The Anarchy And The Ecstasy“ stellt nun insofern eine Neuigkeit dar, als dass die Society hier trotz grundlegender stilistischer Kontinuität deutlich anders klingt. Was damit zu tun haben mag, dass seit den letzten Studioaufnahmen einige Mitglieder ausstiegen – es kursierten gar Gerüchte von einer Auflösung. Die internen Verwerfungen mögen ihre Schatten auch auf die Musik geworfen haben, die hier nun dunkler klingt, auch in der allgemeinen Tendenz langsamer ist. Andere Deutungen gehen eher in Richtung eines Reifeprozesses, was sich durch eine verstärkte Konzentration auf musikalische Details stützen ließe. Auch wenn das manchmal den alten Schwung vermissen lässt, bleibt die World/Inferno Friendship Society auf der lyrischen Ebene gewohnt rebellisch. In dem Song „Canonize Phil K. Dick, OK“ heißt es: „You can‘t change the system from within/the system changes you“ – also: Man kann das System nicht von innen ändern, vielmehr verändert das System jene, die es von innen verändern wollen.

Inwieweit sich die neue musikalische Reife der Formation auch auf ihre Bühnenshow niederschlägt, bleibt abzuwarten. Auf der Bühne entwickelten die wechselnden Musiker um Jack Terricloth an guten Abenden jedenfalls immer schon eine ganz beträchtliche Dynamik. Das Exzessive, das Musiker und Musik im- und explizit verhandeln, war auch ganz substanziell immer Teil des Geschehens.

Ihre Kraft aber gewannen Auftritte der World/Inferno Friendship Society weniger aus den größeren Rotweinmengen, die Terricloth während der energetischen Auftritte so verputzt. Hier ist ein Konzert nie nur ein Konzert, viel eher schon eine Party, bei der die einen die Musik machen, sich die Differenz zwischen Bühne und Publikum aber weitgehend auflöst, ganz so, wie Hardcore das als Forderung zwar postuliert, aber nur selten eingelöst hatte. Von den Anzügen und Korsetts, vom Kajal-Make-up über die Brillantine sehen diese Leute aus wie die smarten Vertreter einer sexy Punk-Boheme, die weiß: „Only anarchists are pretty“. Und Terricloth ist ja nicht nur ein Lebemann, sondern kann ein unwiderstehlicher Conferencier sein.

Aber das Allerbeste daran ist, dass nämlich, wie es in diesem Blatt schon einmal formuliert war, ihre Musik bei allem Frohsinn und Witz ein Gift besitzt, einen fast schon zynischen Unterton, der allerdings nur scheinbar in einem Widerspruch zu ihrer überbordenden Vitalität steht. Als Anarchisten hat diese Society ein klares Bewusstsein von den Grenzen, die ihnen fremde Willkür setzt. Dem widersetzen sie sich mit einem natürlich höchst romantischen Trotz, ein Lachen auf den Lippen.

■ Dienstag, 19 Uhr, Tower