Gekommen, um zu helfen

TAUSCH Zivildienst war nur für Deutsche. Freiwilligendienst dürfen nun auch Leute wie Mpho Sengane leisten. Er spielt mit Waldorfschülern

„Warum nicht ihm ermöglichen, was unsere Tochter in Südamerika macht?“

MPHO SENGANES GASTVATER

VON SEBASTIAN PUSCHNER

Eigentlich wollte Mpho Sengane Soldat werden. „Die südafrikanische Uniform zu tragen, davon habe ich immer geträumt“, sagt der 22-Jährige und verteilt grüne Salatblätter auf kleine Schüsseln. Statt eines Gewehrs hält Sengane jetzt hölzernes Salatbesteck in den Händen. Statt in dem Kinderheim bei Johannesburg, in dem er groß geworden ist, bereitet Sengane in einem Karlsruher Hort das Essen für Waldorfschüler zu. Er tut jetzt genau das, was deutsche Jugendliche für ihn taten. Sie leisteten ein „Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland“. „Warum sollte ich nicht auch so etwas machen?“, fragte Sengane.

In Zukunft werden noch mehr Freiwillige wie er nach Deutschland kommen – dank des im Juli gestarteten neuen Bundesfreiwilligendienstes, der den Zivildienst ersetzt. Während zum Zivildienst ausschließlich Deutsche herangezogen wurden, steht der Bundesfreiwilligendienst auch für Ausländer offen. Zuvor gab es nur wenige nichtstaatliche Institutionen, die einen Hilfsaufenthalt von Ausländern in Deutschland organisierten – so kam auch Mpho Sengane vor elf Monaten nach Karlsruhe. „Wenn ein südafrikanischer Jugendlicher mit deutschen Kindern arbeitet, dann ist das genauso bereichernd, wie wenn das ein Deutscher in Südafrika tut“, sagt Michaela Metzger vom Freiwilligendienstreferat der „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“. Die anthroposophische Organisation holt jährlich 100 Freiwillige nach Deutschland. Metzger: „Im alltäglichen Umgang miteinander zu lernen, wie ein Mensch woanders lebt, das ist für die Kinder im Hort eine großartige Erfahrung.“

Vormittags hilft Mpho Sengane dem Hausmeister, die Hecke zu schneiden und Tafeln zu montieren. Mittags setzt er sich mit zwanzig Grundschülern an den Tisch und ruft „Ruhe jetzt“. Fasst den Lockenschopf links und den Jungen mit den Sommersprossen rechts bei der Hand. „Liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde“, sprechen alle im Chor. Es gibt Nudeln mit Pilzsoße, dazu Salat. Alles bio.

In Senganes Kinderheim gab es nicht so viel zu essen. Davon erzählt er den Kindern im Hort, wenn sie ihn ab und an nach Südafrika fragen: wie anstrengend es sein kann, jede Nacht mit 40 anderen Kindern in einem Saal zu schlafen. Und wie toll es ist, wenn Eltern am Nachmittag ihre Kinder vom Hort abholen.

Es gibt aber auch Geschichten, die Sengane im Hort nicht erzählt. „Ich bin ja schließlich wie ein großer Bruder für die Kinder hier.“

In Südafrika hauten Sengane und seine Kumpels immer wieder aus dem Kinderheim ab, nur für ein paar Tage, um in der Innenstadt zu betteln. Die Nächte verbrachten sie unter Brücken, gegen die Kälte half der Klebstoff. „Du atmest die Dämpfe aus einer kleinen Plastiktüte ein und fühlst nichts mehr.“ Auch nicht die Angst. Angst vor „Matanyola“. So heißt es, wenn ältere Jungs jüngere zum Sex zwingen. Sengane blieb das erspart. „Ich habe zugesehen, wie Freunde es tun mussten.“

In dem Karlsruher Hort machen die Kinder nach dem Essen ihre Hausaufgaben, spielen Verstecken und kickern an einem Fußballtisch. Sengane lässt sich zu einer neuen Runde Halli-Galli überreden. „Aber dieses Mal darfst du die Karten nicht vorher anschauen“, ruft das Mädchen im karierten Wollkleid.

Irgendwann wollte Sengane nicht mehr unter Brücken schlafen. Er war gut in der Schule, hatte Sozialarbeiter um sich, die ihm Mut machten. Mit 17 wurde er Sprecher der Kinder gegenüber der Heimleitung, mit 18 engagierte er sich in einem Projekt, das sich um HIV-positive Waisenkinder kümmert. Der Traum vom Militär blieb ein Gedanke, und der wurde immer seltener. Dann bewarb er sich für den Freiwilligendienst in Deutschland.

Vom Hort aus ist Mpho Sengane mit dem Fahrrad in zehn Minuten im Haus seiner Gastfamilie. Drei Stockwerke, Anbau aus Holz, rote Fensterläden. Im Garten hängt eine tibetische Gebetsfahne, zwischen Gemüsebeeten liegen zwei Blechgießkannen. Senganes Gastmutter ist Erzieherin in einem Waldorfkindergarten, der Vater sitzt im Vorstand der Waldorfschule. Auf dem Schulhof trifft Sengane seinen neunjährigen Gastbruder und seine 17-jährige Gastschwester. Die älteste Tochter ist gerade als Freiwillige in Argentinien. „Warum sollten wir Mpho nicht ermöglichen, was unsere Tochter in Südamerika machen kann?“, fragt der Vater. Als er kurz vor Senganes Ankunft dessen Namen googelte, fand er nichts. „Und dann stand er vor uns und fragte als Erstes: What are the rules of the house?“ Die Familie war überfragt.

Auf einmal konnte Sengane abends ausgehen, so lange er wollte. Hatte einen eigenen Schlüssel und ein eigenes Zimmer. Saß mit seinem Gastvater auf dem Sofa, trank Bier und diskutierte. Über Südafrikas Regierung und Deutschlands Atomausstieg. Und über eine Karriere als Soldat. Sengane schließt das inzwischen für sich aus; auf den Beruf will er aber nichts kommen lassen. Sein Gastvater sieht das eher skeptisch.

Nach ein paar Wochen tauchten dann doch ein paar „rules of the house“ auf. Zu fragen, bevor man eine Flasche Wein zu einer Party mitnimmt. Und das mit dem Pinkeln. „Wir haben lange beratschlagt, wer Mpho sagt, dass man das hier im Sitzen erledigt“, sagt der Vater, auf den schließlich die Wahl fiel. Für Sengane war auch gewöhnungsbedürftig, wie in Deutschland Würste gegrillt werden. Zu Hause in Südafrika schneiden sie ein Blechfass der Länge nach durch, machen darin Feuer und legen ein Metallgitter darüber. Gegrillt wird dann eine Boerewors, zu einer Schnecke gedrehtes Rind- und Schweinefleisch, drei Zentimeter Durchmesser, gewürzt mit Thymian und Muskatnuss. „Ich konnte nicht glauben, wie klein der Rost und die Würste hier sind“, sagt Sengane.

Es wird noch ein bisschen dauern, bis Sengane wieder Boerewors essen kann. Er hat seinen Freiwilligendienst um ein halbes Jahr verlängert und wird in die Nähe von Stuttgart ziehen. „Ich arbeite da in einer Gemeinschaft mit behinderten Menschen“, sagt er. Und dass er sehr gespannt sei, denn das sei etwas völlig Neues. „Aber so war das im Hort mit den Kindern auch, vor einem Jahr.“

Senganes Nachfolger im Hort kommt aus Kenia. Eigentlich war ein deutscher Freiwilliger für den Posten angedacht. Die Mitarbeiter haben dann aber um einen internationalen Freiwilligen gebeten. Fast entschuldigend klingt der Erzieher, wenn er sagt: „Für die Kinder ist es einfach so spannend und bereichernd, all die Geschichten aus einem anderen Land zu hören.“