UNTERM STRICH

Ein Literaturnobelpreis fordert seinen Tribut. „Dies ist das erste Mal, dass ich eine Rede vor einem so großen Publikum halten muss, und ich bin etwas besorgt darüber“, sagte der französische Schriftsteller Patrick Modiano in seiner Nobelpreisrede in Stockholm. Schriftsteller hätten ein schwieriges Verhältnis zur Rede, auch weil sie es gewohnt seien, Textpassagen zu streichen. Die Vergabe des Nobelpreises an ihn nannte der 69-Jährige irreal. In der traditionellen Vorlesung vor der feierlichen Verleihung des Preises sprach der Autor auch über seine Kindheit im Paris der Nachkriegszeit, das er einen „seltsamen Ort“ nennt. „Dieses Paris hat nie aufgehört, mich zu verfolgen, und meine Bücher sind manchmal in sein verschleiertes Licht getaucht.“

Während seiner Kindheit sei er für gewöhnlich getrennt von seinen Eltern gewesen, habe bei Freunden übernachtet. „Ein Kind überrascht nichts, und selbst bizarre Situationen scheinen vollkommen normal.“ Als Erwachsener habe er jedoch versucht, dieses Rätsel zu lösen, und sich auf die Suche nach den früheren Weggefährten gemacht. „Aber es ist mir nicht gelungen, alle Menschen und Orte und alle Häuser der Vergangenheit […] ausfindig zu machen“, erzählte Modiano. „Dieser Antrieb, Rätsel ohne wirklichen Erfolg zu lösen und zu versuchen, ein Mysterium aufzuklären, hat mir die Sehnsucht nach dem Schreiben gegeben, als ob das Schreiben und die Vorstellungskraft mir endlich helfen könnten, alle losen Enden zu verknüpfen.“

„1945 geboren zu sein, nachdem Städte zerstört und ganze Bevölkerungen verschwunden waren, muss mich, wie andere meines Alters, sensibler für die Themen Erinnerung und Vergessen gemacht haben“, sagte Modiano.