Nicht nur wegen Opas Schuld

VERFOLGUNG Vorurteilsforscher Wolfgang Benz und taz-Redakteur Jean-Philipp Beack diskutieren über Antiziganismus und die Reproduktion von Vorurteilen

Wem man Wohnraum versagt, der wird in nomadische Verhältnisse gezwungen

Was heute „osteuropäische Armutsflüchtlinge“ genannt werde, habe früher „Zigeunerplage“ geheißen, sagte Vorurteilsforscher Wolfgang Benz am Montag im Europapunkt. Die Jungen Europäischen Föderalisten hatten ihn eingeladen, um über die Kontinuität des Antiziganismus zu diskutieren. Flankierend hat taz-Redakteur Jean-Philipp Baeck über die Lage in Serbien berichtet, das kürzlich zusammen mit Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde. Dadurch werden Abschiebungen erleichtert.

Sinti und Roma gelten laut Benz nicht nur im persönlichen Ressentiment als haltlos, diebisch und schmutzig. Selbst in den Medien herumgereichte Experten würden heute noch schreiben, Sinti und Roma seien „eigentlich Nomaden“. Der Versuch, aus einem solchen Naturzustand Verhaltensweisen zu erklären, würde sie damit erst zuschreiben.

Ein besonderes Problem sieht Benz in bildlichen Darstellungen, weil diese Vorurteile an der Oberfläche zunächst bestätigten. Denn Abbildungen des Elends zeigen dessen Ursachen nicht. Wem man Wohnraum versagt, der wird in nomadische Verhältnisse gezwungen. Das Dilemma, sagte Baeck: Dokumentieren müsse man die Zustände aber dennoch.

Baeck zeigte Fotos von einer Reise nach Serbien, die er mit weiteren JournalistInnen, NGOs, ÄrztInnen und JuristInnen unternommen hatte. Sie wollten den Lebensumständen von aus Deutschland abgeschobenen Roma nachgehen. Von der Verwaltung schikaniert und von Neonazis angegriffen, leben sie dort in notdürftig improvisierten Hütten am Stadtrand.

„Natürlich können solche Bilder Vorurteile bestätigen“, sagte Baeck. Im Vortrag und in einer kürzlich veröffentlichten Dokumentationen der Reise präsentierte er sie darum mit einem erläuternden Blick aufs Detail. Eine Ansammlung von Plastikflaschen auf einem Balkon etwa, die nach Müll aussieht, hat einen einfachen Grund: Das Haus wurden nicht an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen.

Was Bildung dagegen tun könne, dass immer weniger junge Menschen von der NS-Geschichte wüssten, wollte das Publikum wissen. Für Benz ist das die falsche Frage: „Wenn sie Bescheid wüssten, wären sie auch keine besseren Menschen“, sagte er. Eine zivilisierte Gesellschaft müsse Toleranz gegenüber allen fertigbringen, „auch ohne Schuld der Großeltern“.

Die Ermordung und Verschleppung Tausender Sinti und Roma im Nationalsozialismus hat Spuren hinterlassen, die auch in Serbien noch auffindbar sind. Baeck berichtete von einer 81-jährigen Frau, die er im südserbischen Pirot traf. Ihr Ehemann war als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden, wofür nie Entschädigung gezahlt wurde. Ihre Familie wurde aus Deutschland abgeschoben.  JAN-PAUL KOOPMANN

Die Dokumentationen der Recherchereise nach Serbien und in den Kosovo sind über doku@koop-bremen.de erhältlich