AMERICAN PIE
: Absteigen, um aufzusteigen

BASKETBALL Die Philadelphia 76ers verlieren auch in dieser NBA-Saison Spiel für Spiel und hoffen auf das große Los beim nächsten Draft

Es wird gelästert, selbst ein Collegeteam könne diese Mannschaft schlagen

Und plötzlich zierte Wilt Chamberlain das Parkett im Wells Fargo Center. Es war eine Reminiszenz an bessere, glorreiche Tage an diesem Wochenende in Philadelphia. In einer feierlichen Zeremonie in der Halbzeitpause gegen die Oklahoma City Thunder wurden die lange erwarteten Gedenkmarken an die Ikone der Philadelphia 76ers präsentiert und künstlerisch wertvoll auf das Spielfeld projiziert. Chamberlain gilt als einer der besten Basketballer aller Zeiten – der 2,16-Meter-Mann war der überragende Spieler der 60er, hievte seine Mannschaft 1967 zur ersten Meisterschaft in Philadelphia. Zeiten, von denen in der „Stadt der brüderlichen Liebe“ heute nur noch geträumt wird. Die Partie gegen Oklahoma City ging 91:103 verloren.

„Wir tun doch alles, um zu gewinnen“, beteuert Brett Brown in jedes Mikrofon, das ihm hingehalten wird. Der Trainer der 76ers muss sich eigentlich schon seit Saisonstart erklären: Die ersten 17 Spiele in Folge hatte seine Mannschaft verloren. Aktuell steht der Klub bei einer Bilanz von 2:18 – immerhin. „Ich trainiere die Spieler, damit wir gewinnen“, erklärt Brown. Nur um dann zu dementieren, was in Fan- wie auch Expertenkreisen vermutet wird: „Ich verstehe, warum der Begriff ‚tanking‘ immer wieder aufflammt, aber nichts könnte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein.“ Es werden nur wenige glauben.

Im US-Sport beschreibt „Tanking“ das quasi freiwillige Herschenken einer Saison. Das Ziel: Eine gute Ausgangsposition für den Draft, bei dem jeden Sommer die größten Talente der Colleges und dem Rest der Welt ausgewählt werden. Die schlechtesten Mannschaften der abgelaufenen Spielzeit dürfen dabei zuerst wählen – und damit ist stets die Hoffnung verbunden, den Heilsbringer für eine glorreiche Zukunft zu finden. Eingeplanter Tabellenkeller also. Die „Sixers“ sicherten sich so bereits in den letzten beiden Jahren mit den Centern Nerlens Noel und Joel Embiid zwei potenzielle Hochkaräter – und gingen dafür Risiken ein: Noel musste mit einer schweren Knieverletzung seine Einstandssaison aussetzen und läuft erst jetzt, in Jahr zwei, langsam warm. Embiid fehlt noch länger nach einer Fuß-OP. Doch der Neuaufbau steht über allem.

Glorreiche Zeiten sollen wieder Einzug halten in der 1,5-Millionen-Metropole Philadelphia – auch wenn man dazu erst in den Tabellenkeller muss. Anfang der 80er trugen die legendären Julius Erving und Moses Malone den Klub zum Titel 1983, die Mannschaft gilt als eine der besten überhaupt. Bis auf ein kurzes Zwischenhoch um die Jahrtausendwende mit Aufbauspieler Allen Iverson kam nichts mehr nach. Aktuell ist die Mannschaft die mit Abstand jüngste und unerfahrenste der NBA. „Wir lernen und verbessern uns mit jedem Spiel“, sagt Noel.

Trainer Brown ist seit Beginn der letzten Saison im Amt. Bereits in seinem ersten Jahr gab es eine Serie von 24 Niederlagen, der Liga-Rekord wurde eingestellt. Der Zuschauerschnitt ist aktuell der zweitschlechteste der Liga, in den vergangenen Wochen wurde allseits gelästert, selbst ein College-Team mit Teenagern könnte diese Mannschaft schlagen. Brown befindet sich auf ungewohntem Terrain – zuvor war der Basketballcoach mit zwei Jahren Unterbrechung seit 1998 bei den erfolgsverwöhnten San Antonio Spurs, erlebte als Assistent vier Meisterschaften mit. „Ich habe Disneyland verlassen für diese Herausforderung hier“, sagt Brown. „Überall gibt es viel zu tun. Aber ich liebe es. Ich würde mich wieder genau so entscheiden.“ Vielleicht muss man irgendwann nicht mehr auf Wilt Chamberlain zurückgreifen, wenn es um Erfolgsgeschichten bei den Philadelphia 76ers geht.

DAVID-EMANUEL DIGILI