Ein Stasi-Opfer gerät ins Zwielicht

Die Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen will einen Preis nach Walter Linse benennen, der 1952 aus Westberlin entführt und in Moskau hingerichtet wurde. Doch der Anwalt war in der Nazi-Zeit an der Enteignung von Juden beteiligt

AUS BERLIN CHRISTIAN SEMLER

Der Förderverein der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, einstmals Sitz des Stasi-Gefängnisses, wollte der „kritischen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur“ einen neuen Impuls geben – vermittels eines Preises. Namensgeber für diesen Preis sollte der Rechtsanwalt Walter Linse sein. Im Juli 1952 entführte ihn die Stasi als Mitarbeiter des „Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen“ (UFJ) in Westberlin. Später wurde er den Sowjets überstellt, im Dezember 1953 als Spion in Moskau in einer Prozessfarce zum Tode verurteilt, hingerichtet und 1996 schließlich rehabilitiert.

Menschenraub durch die Stasi war damals keine Seltenheit, aber die Entführung Walter Linses rührte die Öffentlichkeit in Westberlin besonders auf. Sie führte zu einer großen Protestkundgebung und zu – vergeblichen – Interventionen der westlichen Alliierten.

Inzwischen ist die geplante Namensgebung des Preises ins Zwielicht geraten. Der Publizist Benno Kirsch veröffentlichte dieses Frühjahr eine Studie über Walter Linse, die erstmals die Tätigkeit des Anwalts in den Dreißiger- und Vierzigerjahren beleuchtete. Kirsch wies darin nach, dass Linse bei der Chemnitzer Industrie- und Handelskammer gutachterlich mit der „Arisierung“ jüdischen Eigentums zu tun hatte. Dieser Umstand war noch Ende 2006 der Autorin Barbara Hennecke entgangen, die für den Förderverein der Gedenkstätte den Lebensweg Walter Linses skizziert hatte. Kirsch betont in seiner Studie, dass Linse sich in diesen Verfahren nicht persönlich bereicherte, sich eher zurückhielt. Durch die Tätigkeit in der IHK sei er aber „Teil des Verfolgungsapparats“ geworden.

Untersuchungen zur Arisierung belegen in ihrer Zusammenschau, dass die Industrie- und Handelskammern eine wichtige Rolle beim Raub jüdischen Eigentums spielten. Juristisch gesehen ging es bei den Arisierungen stets um Kaufverträge. Die Kammern fungierten quasi als Serviceunternehmen, denn sie verfügten in ihren Fachgruppen über präzise Informationen zu allen Unternehmen im Eigentum jüdischer Deutscher. Sie schätzten den Wert der Lager ein, was regelmäßig zu Unterbewertungen führte, taxierten den Umfang des Kundenstamms und konnten nicht zuletzt auch die Bonität der Käufer beurteilen.

Die Kammern wurden schon bald nach der „Machtergreifung“ von den Nazis „gleichgeschaltet“. Ihr Führungspersonal arbeitete eng mit den jeweiligen NS-Gauwirtschaftsberatern zusammen, oft gab es hier Personalidentität. Ein Sachbearbeiter der Kammer hatte beim Arisierungsraub zu funktionieren. Keine Chance, sich herauszuhalten.

Zwar gab es bei Arisierungen die kleine Schar anständiger, ehrlicher Menschen. Beim Gros der an Arisierungen beteiligten Personen handelte es sich aber nicht um seriöse Geschäftsleute, sondern um Teile der sich neu formierenden NS-Elite. 1938 wurde schließlich im Zuge der vollständigen Liquidierung jüdischer Geschäftstätigkeit eine rechtliche Regelung samt Genehmigungsbehörden erlassen. Aber auch hier waren IHK und Gauwirtschaftsberater anzuhören, waren also beide Teil der jetzt staatlich regulierten Raubzüge. So war die Lage, als Linse Sachbearbeiter bei der Chemnitzer IHK wurde.

Zu Linses Tätigkeit nach seiner Flucht aus Ostdeutschland beim „Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen“ gibt es die Arbeit Siegfried Mampels von 1999, der den Untergrundkampf der Stasi gegen den UFJ untersucht. Der Untersuchungsausschuss dokumentierte die massiven Menschenrechtsverletzungen durch die ostdeutschen Realsozialisten und die Sowjets. Hier arbeitete Linse als Berater bei Enteignungen durch die ostdeutschen Behörden. Gleichzeitig stellte er Material über die versteckte Aufrüstung in der frühen DDR zusammen, Informationen, die dem amerikanischen CIA, der den „Untersuchungsausschuss“ finanzierte, nützlich sein konnten. Einsatz für die Menschenrechte und gleichzeitig Instrument des CIA – wir befinden uns mitten im Kalten Krieg.

Die Stifter des Walter-Linse-Preises haben bisher nicht erkennen lassen, dass sie einer Namensänderung zustimmen würden. Der Vorsitzende des Fördervereins, der Anwalt Jörg Kürschner, verweist auf antifaschistische Aktivitäten Linses und die Rettungsaktion für einen Chemnitzer Juden. Vielleicht sei Linse ja ein „Schindler von Chemnitz“ gewesen, gibt er zu bedenken. Dagegen plädieren einige Mitglieder des Fördervereins dafür, das Preisprojekt zu stoppen und erst einmal weitere historische Untersuchungen abzuwarten.

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