„Macht Geschenke“

Gespräch Christin Lahr sendet täglich einen Cent und 108 Zeichen aus „Das Kapital“ an den Fiskus

■ 46, ist Professorin für Medienkunst in Leipzig.

taz: Frau Lahr, warum senden Sie ausgerechnet Auszüge aus „Das Kapital“ von Karl Marx an den Bundesfinanzminister?

Christin Lahr: Das ist eine Kritik der politischen Ökonomie oder Kapitalismuskritik in Bildern. „Das Kapital“ ist wie die Bibel oder der Koran eines der bekanntesten Bücher und funktioniert als „Bild“, das jeder auf seine Weise lesen kann. Nebenbei baue ich in homöopathischen Dosen unseren Schuldenberg ab.

Was möchten Sie mit Ihrer Kritik in der Gesellschaft ändern?

Ich möchte eine Wertedebatte anstoßen und fragen: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Ein GeMEINwesen hat etwas mit mEINem Wesen zu tun. Ein Einzelner bleibt nicht ohnmächtig, wenn er sich selbst ermächtigt. Selbst ein Tropfen auf dem heißen Stein verdampft und breitet sich aus. Jeder kann in homöopathischen Dosen Verantwortung übernehmen.

Was heißt das konkret?

Wohlbefinden statt Wachstum. Wir sollten mehr über „wahre“ Werte statt preiswerte Waren nachdenken. Geld regiert die Welt, solange man es zulässt. Das, was uns „am Teuersten“ ist, hat keinen berechenbaren Preis, sondern ist eine Frage von Wertschätzung. Keine „Höher-schneller-weiter-Mentalität“ kann auf Dauer funktionieren.

Sie spenden täglich 1 Cent an das Finanzministerium. Soll das zum Mitmachen anregen?

Es heißt nicht „Mitmachgeschenke“ sondern „MACHT GESCHENKE“. Meine Mikrointerventionen sind Impulse, die zum eigenen Denken und Handeln anregen sollen.

Interview: Martin Stade

Gespräch mit Rudolf Hickel über Macht und Kapital: Arbeitnehmerkammer, Bürgerstr. 1, 19 Uhr