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: Schöne Vögel und ein paar Irrtümer – Anita Albus klärt auf

Ein wahres Kleinod: schönes Papier, klassisches Schriftbild, viele edle Abbildungen, reichlich Lektüre und ein dunkelrotes Lesebändchen. Die Schriftstellerin und Malerin Anita Albus hat in ihrem Buch von den „seltenen Vögeln“ eine exquisite Auswahl gefährdeter und bereits ausgestorbener Arten versammelt. Die riesigen Schwärme der amerikanischen Wandertaube flattern ein letztes Mal auf, um, durch Jägerhand erlegt, als unförmiger, matschiger Klumpen auf dem Boden der Moderne zu landen. Unter dem Namen „Martha“ stirbt einsam am 1. September 1919 die letzte Wandertaube im Zoo.

So vermenschlicht, erhält die geschundene Kreatur sogleich unser Mitgefühl. Aktuell sichtbar an Eisbär Knut. Mehr noch als Popstar Madonna beim World-Aid-Konzert wird der weiße Knuddelbär zum glaubwürdigen, unschuldigen Symbol der Klimakatastrophe. Ach, hätte der allzu freche, dunkelhaarige Bruno, der erste Bär, der sich seit über 150 Jahren nach Deutschland wagte, nur so viel Zuneigung und Verständnis beim Menschen gefunden …

Dramatisch schildert die Autorin die letzten Minuten im Leben des flugunfähigen Riesenalken. Die letzten Alken – ein namenloses Paar – saßen 1844 brütend auf dem Ei, da, so Albus, „machten sie eine furchtbare Entdeckung: drei Männer kamen auf sie zu.“ Leider verrät die Autorin in ihrer vogelperspektivischen Betroffenheit nicht die Namen dieser Männer. Zehn Jahre nach dem Massaker im Auftrag eines blaublütigen dänischen Vogelbalgsammlers wurden die Seeleute Jón, Sigurdur und Ketill von der englischen Vogelzeitschrift Ibis über diese letzten Minuten intensiv ausgefragt. Extrem arm waren die Isländer damals. Das wird in der heute finanzstarken Republik gern betont, wenn Fremde fragen, wieso der attraktive Pinguinus ausgerechnet durch die als „Naturfreunde“ markierten Isländer aussterben musste.

Albus entscheidet sich dafür, das Augenmerk auf die große Popularisierung des Riesenalken nach seinem Verschwinden zu richten, und philosophiert über sein Ei, das eine jeweils höchst unterschiedliche Zeichnung aufweist: „Kalligraphie“ nennt sie das und unterstreicht damit, dass mit dem Verschwinden eines Tieres ein Stück Kulturverlust einhergeht. Insgesamt geizt das Buch nicht mit wertenden Attributen. Da gibt es den „unheimlichen Ziegenmelker“ oder die „schöne Schleiereule“. So etwas funktioniert nur bedingt: Der Riesenalk galt als ziemlich „blöd“ – noch lange kein Grund, ihn auszurotten.

Alternativ lockt Albus dann mit klassischen Stichen und selbstgetuschten Aquarellen im Biedermeierlook. Auffällig leblos wirken Letztere, während sich die Sprache der Autorin bei den nachempfundenen Exkursionen der Entdecker in überbordender Lebendigkeit verliert. Nun dringt auch Ritter von Spix in den Amazonas. Hell klingen seine eleganten Worte über die stahlblauen Papageien. Spix’ Überlegung über die indigenen Einwohner, inwieweit diese mit „ihrem unarticulierten Geschrey bereits die Tonkunst der Vögel beeinflusst“ haben könnten, taucht dann, fußnotenkommentiert als „Irrtum“, im erstübersetzten Text Buffons von 1786 auf.

Der „Irrtum“ hätte natürlich problemlos auch „ein typisches Beispiel für Aufklärungsrassismus“ genannt werden können. Doch selbst zutiefst verwurzelt in der Tradition von Aufklärung und Vernunft, korrigiert die Autorin lieber in Form von Fußnoten einige heute besonders abstrus klingende Thesen Buffons. Neben Tieren fügte dieser leider auch die Menschen in neue, machtvolle Ordnungshierarchien ein. Unfreiwillige Komik, aufkommender Widerspruch werden so zwar relativiert, aber die Fußnote „Hier irrt Buffon“ klingt dann letztlich altklug, ja fast albern. Was bleibt: Ästhetizismus pur. Schöne Vögel, aufgeklärte Menschen und ein paar Irrtümer. Ob das auf die Dauer wohl gut geht? WOLFGANG MÜLLER

Anita Albus: „Von seltenen Vögeln“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006, 297 Seiten, 45 Euro