In den Untergrund gegangen

Siebzehn Jahre lang gab die Mitte-kritische Berliner Stadtzeitung „scheinschlag“ Widerworte gegen das lebensgeile Geldkunstzentrum: Jetzt muss sie eingestellt werden – und verspricht doch ein Wiedersehen zur rechten Zeit

Im Jahr 2003 schrieb die taz: „Je besser die kostenlose ‚berliner stadtzeitung‘ scheinschlag wird, desto seltener erscheint sie: nur noch ‚zehnmal jährlich‘. Was haben wir uns anfangs über dieses blöde Architektur- und Stadtplanungsinfo geärgert, das auch noch von den diesbezüglichen Ämtern in Mitte mitfinanziert wurde. Aber je weniger ABM und Staatsknete, desto lesbarer wurde der scheinschlag.“ – Dafür wird sie nun eingestellt! Ihre Macher beruhigen uns aber: „Im August 2007 wird es so aussehen, als habe die Redaktion der mittlerweile 17-jährigen Stadtzeitung ihr Erscheinen eingestellt. Doch der Schein trügt … Die Wahrheit ist: Die Redaktion ist in den Untergrund gegangen. Seid wachsam! Achtet auf jegliches, was sich in eurer Stadt verändert! Zur rechten Zeit, am rechten Ort werden wir uns wieder sehen.“

Der scheinschlag-plan kam 1990 am „Runden Mitte-Tisch“ der besetzten Häuser auf: „Die DDR war soeben verschwunden, die Mainzer Straße geräumt und selbst für die Kaninchen auf dem Potsdamer Platz waren die ruhigen Zeiten vorbei.“ Die Zeitung wurde kostenlos an öffentlichen Orten ausgelegt, den Druck wollte man über Anzeigen hinkriegen, die Herstellung über „Selbstausbeutung“. Letzteres wird nun als „Bürgerjournalismus“ bezeichnet, bei dem der scheinschlag angeblich eine „Vorreiterrolle“ spielte. Ich würde eher sagen: Viele junge Ost- und Westdeutsche schrieben darin über das Leben, ohne ein Honorar dafür zu bekommen – und wurden später geübte Journalisten, die nun vom Schreiben leben. Zu erinnern sei dabei an die Kolumnisten Hans Duschke und Bov Bjerg sowie an den Chronisten Falko Henning, die dann die Lesebühne „Heim & Welt“ mitbegründeten; an Gereon Asmuth, der heute Ressortleiter bei der taz ist, sowie an Tina Veihelmann, die jetzt als Redakteurin beim Freitag ihr Auskommen hat.

Auch der Bezirk Mitte, in dem der scheinschlag quasi zu Hause war, veränderte sich: Aus einem postsozialistisch-euphorisierten Umsonst-und-draußen-Kiez wurde ausgehend vom Ekelzentrum Tacheles ein lebensgeiles Geldkunstzentrum, das heißt, eine einzige No-go-Area, die Dumpfmeister aus aller Welt wie Schmeißfliegen anzieht. Selbst die an der Oranienburgerstraße aufgereihten Wespentaillen-Nutten sind Weltmeister im Bescheißen – „Kobern“ genannt. Wenn sie zum Beispiel sagen: „Ehrliche 22 Minuten kosten 60 Euro“, dann heißt das nur, dass sie einem im Stehen am Baum im Monbijoupark einen runterholen. Und was soll man davon halten, dass der inzwischen eingeknastete Mitte-Großinvestor Roland Ernst from Heidelberg den scheinschlag als „die beste Metropolenzeitung der Welt“ anpries? Oder dass der ebenfalls inzwischen verknackte damalige CDU-Fraktionschef Rüdiger Landowsky gerade in Mitte „die neue interessante Szene“ ausmachte, während seiner Meinung nach in Kreuzberg nur „Junkies, Gewalt und Ausländer zurückblieben“.

Als freiwillig vertürkter „Kreuzberger“ würde ich dagegen behaupten: Wer sich heute in Mitte herumtreibt, trägt seinen Wanst ständig in Schusshöhe! Man muss allerdings zugeben, dass das Revolverblatt scheinschlag stets versucht hat, diesem ganzen Scheiß dort etwas Lebenswertes entgegenzuhalten, wobei es jedoch leider ebenfalls dazu neigte, seichten Sophienstraßen-Urbanismus an die Stelle klassenkämpferischer Soziologie zu setzen. Auf einem scheinschlag-Kongress im Kulturhaus Mitte mit dem Titel „Nachdenken über urbane Lebensräume“ bekamen die Redakteure dies noch einmal von ihren eigenen Referenten bescheinigt. Klaus Laermann von der FU meinte da zum Beispiel: „Mir drängt sich der Verdacht auf, dass diese Konjunktur des Themas Stadt in öffentlichen Debatten seit 13 Jahren das ersetzt, was vorher Gesellschaft hieß.“ Und Guillaume Paoli von den Glücklichen Arbeitslosen behauptete: „Diese ganze Berlinliteratur hat doch mit Berlin gar nichts zu tun – das ist bloß wichtigtuerische Szene-Verständigungsprosa.“

HELMUT HÖGE