Im Niemandsland

DAS VERGESSENE REZEPT Es ist nicht leicht, ein Gericht zu plagiieren. Aber es geht

■ Die Zutaten (für vier Personen): 400 g Biohühnerleber, zwei Knoblauchzehen, ein Bund Petersilie, 250 ml Kalbsfond, 100 g Schnittsalat (oder gemischten grünen Salat). Für die Salatsauce: Essig, Öl, Sahne, Maggi, Pfeffer

■ Das Rezept: Hühnerleber von Fett und Sehnen befreien. In einer Pfanne mit Butterschmalz scharf anbraten, mehrmals wenden, salzen und pfeffern. Nicht ganz durchbraten. Die Leber aus der Pfanne nehmen und warm halten. Mit dem Kalbsfond den Bratensatz ablösen und etwas einkochen lassen. Die in der Schale zerdrückten Knoblauchzehen und die klein geschnittene Petersilie mitkochen lassen. Nach etwa fünf Minuten durch ein Sieb abgießen und nochmal mitsamt der Leber erhitzen. Salat und Leber auf einem Teller servieren. Dazu passen Weißbrot und Chutney von roten Zwiebeln.

VON PHILIPP MAUSSHARDT

Restaurants teile ich in drei Kategorien ein: 1 (kann ich besser), 2 (kann ich auch), 3 (kann ich nicht). Kategorie 1 ist die am weitesten verbreitete. Es ist ein Elend, wenn man selbst gerne und einigermaßen gut kocht, dann ist man versaut und als Gast von den allermeisten Küchen bitter enttäuscht. Kochen können macht unglücklich und arm.

Kürzlich war ich in einem Lokal der Kategorie 2. Das Gasthaus „Au Bord du Rhin“ (Zum Rheinufer) auf einer kleinen Insel im Rhein, von der niemand so ganz genau weiß, ob es noch Deutschland oder schon Frankreich ist. Deshalb nennen die Menschen auf der deutschen Rheinseite das Restaurant nur „Niemandsland“. Man findet das Niemandsland nur, wenn ein Ortskundiger mit im Auto sitzt. Kein Schild weist den Weg. Die Betreiber haben offenbar kein gesteiger- tes Interesse an noch mehr Gästen.

Das liegt wahrscheinlich dran, dass Familie Riss, die das Restaurant seit 1976 führt, keine großen Überraschungen liebt. Die Speisekarte wurde vor 38 Jahren zum letzten Mal geändert. Von den Tapeten ganz zu schweigen. Nachdem ich als Vorspeise einen „Salat von der Hühnerleber“ gegessen hatte (für vier Euro fünfzig), schickte ich ein Gebet in den Niemandshimmel, man möge die Karte auch in den kommenden 38 Jahren bitte nicht ändern. Auf meinem Teller lagen zarte, rosa gebratene Leberstückchen neben einem herrlichen Salat und beide Saucen, die kalte des Salats und die heiße der Leber, flossen ineinander. Ein Traumpaar des guten Geschmacks.

Ein paar Wochen später beschloss ich, das Gericht nachzukochen. Ich kaufte 400 Gramm Leber von einem schwäbischen Biohuhn und versuchte, allein aus der Erinnerung das Erlebnis aus dem Niemandsland zu wiederholen. War da Majoran oder Liebstöckel dran? War die Sauce mit Rotwein verfeinert?

Heute kann man fast jedes Rezept im Internet finden. Auf www.chefkoch.de und anderen Seiten stellen Kreti und Pleti ihre grauenhaften Küchenratschläge ins Netz. Für Hühnerlebersalat taugen solche Seiten nicht. Ich experimentierte, doch auch beim vierten Versuch schmeckte es nicht annähernd wie im „Au Bord du Rhin“.

Heute morgen rief ich im „Niemandsland“ an. Monsieur Riss, der Koch und Besitzer, war gleich am Apparat. „Bitte, Herr Riss, wie machen Sie die Saucen von Leber und Salat?“ Herr Riss gab bereitwillig Auskunft. Für die Leber nehme er Kalbsfond, Knoblauch und Petersilie. Und für den Salat? Herr Riss zögerte kurz, dann sagte er: „Da ist Maggi dran.“ „Maggi?“, fragte ich. „Maggi“, wiederholte er.

Er hätte ja auch sagen können: „Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann das nicht verraten.“ Oder er hätte schwindeln können: „Das ist eine Mischung aus Kräutern, die ich im eigenen Garten ziehe.“ Aber nein. Herr Riss blieb bei der Wahrheit. Es ist Maggi. Dafür liebe ich ihn.

Die Essecke: Philipp Mausshardt schreibt hier jeden Monat über vergessene Rezepte. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere Korrespondenten berichten, was in anderen Ländern gegessen wird