Auf der Volksfähre

TANZ Schwanken zwischen Wellen und Bier – auf den Fähren zwischen Finnland, Schweden und Estland ist ordentlich was los. Besonders beliebt ist die „Cinderella“ aus der Fernsehserie „Färjan“

■ Der Fährverkehr: Auf den Fahrten von Stockholm nach Finnland (Turku oder Helsinki) kann es auf den Schiffen von Viking Line munter zugehen (www.vikingline.de). Unter der Woche ist auf der „Cinderella“ eine 1-bis-4-Personen-Kabine auf der Schären-Kurzkreuzfahrt ab 40 Euro buchbar. Silja Line fährt die gleichen Strecken, zielt auf anspruchsvollere Gäste ab und ist teurer (www.silja.com).

■ Fähre von Deutschland nach Schweden: Scandlines (www.scandlines.se), TT-Line (www.ttline.com) und Stena Line (www.stenaline.com). Diese drei Reedereien bieten zusammen im DFDS Seaways und Viking Line auch eine Ostsee-Rundreise mit Baltikum sowie Kombitickets an, Informationen hierzu gibt es unter www.vikingline.de.

VON MORITZ FÖRSTER

Maria will nicht tanzen und versucht sich klammheimlich hinter Sofia zu verstecken, Sofia setzt das Ringelspielchen fort – hat aber den Nachteil, einen Kopf größer als ihre Freundin zu sein. Ehe Sofia sichs versieht, steht sie auch schon mit dem älteren Herrn auf der Tanzfläche. Zum Glück duzen sich hier auf der Ostsee zwischen Schweden und Finnland ohnehin alle, die Frage nach der richtigen Anrede ist schon mal geklärt.

Tanzmusik wird am Mittwochabend auf der „Cinderella“ gespielt. Die beiden Freundinnen hatten ihren Ausflug auf der in Schweden und Finnland berühmten Fähre lange geplant. Allerdings hätte sie sich wohl besser für den darauffolgenden Tag entschieden: Bis Mittwoch kommen die Rentner, ab Donnerstag kommt das junge Volk. Etwas Segregation auf der skandinavischen Ostsee – sogar hier auf der sogenannten Volksfähre, der Fähre für Jedermann. Seit 1959 ermöglicht Viking Line ein unterhaltsames Seereisevergnügen zu erschwinglichen Preisen.

Und während auf dem schwedischen Festland die Kneipen schließen, nimmt das Tanzvolk auf der „Cinderella“ Fahrt auf. Mehr Fahrt als das Schiff, das ganz gemächlich Richtung Åland tuckert. Für die gut 200 Kilometer bis Mariehamn benötigen wir fast 14 Stunden.

Inmitten der Tanzpaare steht Sofia mit ihrem Partner und bewegt sich wie eine junge Frau, die zwischen fehlender Motivation und höflichem Anstand schwankt. Schwanken ist überhaupt das richtige Schlagwort: Hin und her schwanken die Gäste sehr heftig. Die „Cinderella“ ist das Kultschiff aus der schwedischen Reality Soap „Färjan“, die seit Herbst 2008 wöchentlich ausgestrahlt wird. Von neun Millionen Schweden verfolgen im Durchschnitt 500.000 jeden Montagnachmittag, was auf der „Cinderella“ passiert.

Und es ist tatsächlich einiges los an Bord: Um 18 Uhr legt das Schiff in Stockholm ab. Zwischenstopp ist Åland, und Endziel ist wieder Stockholm. Eine Tageskreuzfahrtreise über die Ostsee. Bleibt die Frage, was die Schweden und Finnen auf das Meer hinauszieht? Eine Antwort hat der Chefentertainer parat: „Die Leute haben mehr Spaß, sobald sie das Festland verlassen“, behauptet Per Nyberg: „Sie trinken mehr, entspannen sich und sind neugieriger.“ Nyberg muss wissen, wovon er spricht – schließlich hat er seine eigene Frau auf einem Schiff kennengelernt. Seit fünf Jahren sorgt er für die Unterhaltung auf der „Cinderella“ – und bleibt auch hier dem Motto des Bootes treu: Ein Rundumprogramm für Jedermann, in dem Fürsorge sogar an den Spieltischen groß geschrieben wird: Die Jetons haben einen Einheitswert von fünf Kronen – ungefähr 50 Cent –, was zur Folge hat, dass bereits bei zwei Spielern der Tisch bei jedem Einsatz mit Chips übersät ist.

Die Fährfahrten von Viking Line sind Skandinavien auf hoher See – mit der Ausnahme, dass auch unter der Woche die Fährkneipe nicht um eins zumacht: Selbst im Duty-free-Shop ist der Alkohol noch teurer als in Deutschland, und statt sich in den engen, verglasten Raucherraum zu quetschen, klemmen sich die Reisenden lieber Snus, eine Art Kautabak, unter die Oberlippe, morgens zum Frühstück warten dann Preiselbeeren und Lachsfilet.

So kann sich die Geschichte ändern, ausgerechnet zwischen Schweden und Finnland herrscht Partystimmung und Harmonie. Die beiden Länder führten nicht immer eine gute Beziehung miteinander. Bis 1809 gehörte Finnland zu Schweden, bevor es an Russland fiel. Erst seit 1917 ist Finnland ein unabhängiger Staat. Gerade um die Ålandinseln gab es heftigen Streit mit Schweden. Die Inselbewohner selbst wollten lieber zu Schweden gehören, aber Finnland stellte sich quer. Die Folge: Seit 1921 führt Åland nun ein weitestgehend autonomes Eigenleben, wobei die offiziellen Finnen mehrheitlich Schwedisch sprechen. Erst seit den 60ern, just die Zeit, in der die Volksfähren für einen regen schwedisch-finnischen Austausch auf hoher See zu sorgen begannen, entspannte sich die Beziehung zwischen den beiden Ländern. Finnen und Schweden reisten und feierten zusammen auf der zwischen ihnen liegenden Ostsee.

Vielleicht ein Zufall, aber für die Geschichte der Ålandinseln haben die meisten Fährgäste an diesem Morgen ohnehin wenig übrig: Morgens, kurz vor acht, legt die Fähre in Mariehamn an, doch kaum einer verlässt das Boot. Einer der wenigen, die an Land gehen, ist der Entertainer selbst: Per Nyberg läuft schnell rüber nach Hause, dort wartet seine Frau. Rund zwei Stunden später ist er zurück an Bord und spult sein Programm ab. Das Volk ist etwas verkatert, aber glücklich. Und während Nyberg und seine Kollegen am Nachmittag schon wieder für Stimmung sorgen, gleitet die „Cinderella“ durch die Schären Richtung Stockholm – doch kaum einer nimmt die schöne Landschaft wahr.

Unterdessen haben Sofia und Maria sich in die ansonsten fast leere Kneipe verzogen und trinken ein letztes Bier auf hoher See.