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NINA APIN LEUCHTEN DER MENSCHHEITSalate für das gute Leben

Das „gute Leben“ ist zur neuen Utopie des 21. Jahrhunderts geworden. „Alles für alle“ nennen es linksradikale Stadtguerilleros und meinen damit Verteilungsgerechtigkeit plus soziale Grundsicherung. Gut leben heißt nachhaltig und ressourcenschonend leben, lautet das Credo einer urbanen Elite, die sich um die Zukunft des Planeten Sorgen macht. Nachhaltigkeit gilt als hip – kaum einer in Freiburg, Barcelona oder New York, der nicht politisch gärtnert, Teil einer regionalen Versorgergemeinschaft ist oder wenigstens Green Fashion am Leib trägt. Was also tun – auf Fleisch und Flugreisen verzichten? Klimaschutz-Symposien veranstalten? Aufs Land ziehen?

Es ist dieser Optionsterror, das moderne Versprechen des „anything goes“, das uns krank macht, meint die US-Soziologin Juliet Schor („Plenitude. The New Economics of True Wealth“, Penguin, 2010). Das dauernde Sich-Entscheiden für oder gegen Tausende von Möglichkeiten führe zu einem Zuwenig an Schlaf, bewusstem Essen und sozialen Kontakten.

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt hat den Terror ins Positive umgedeutet und versucht in seinem Festival ÜBER LEBENSKUNST, allen verfügbaren Hinweisen auf das gute Leben nachzugehen. Vielleicht müssen wir mehr schlafen, wie der Harvard-Schlafforscher Robert Stickgold findet: Nur im Schlaf können wir Hirnkapazitäten freisetzen, die uns der Komplexität der Welt ins Auge blicken lassen. Bemerkenswert ist der rigide Nachhaltigkeitskodex, den sich die Festivalmacher selbst auferlegten. Die Installationen bestehen aus recyceltem Material oder werden hinterher weiter verwendet. Performances aus Nairobi oder São Paulo finden per Live-Übertragung statt, um Flugkilometer einzusparen. Ernährt werden die Besucher von einem regionalen Nahrungskollektiv – und 6.000 vor dem Haus angebauten Salatköpfen. Jeder Salat ein kleines Bekenntnis zum guten Leben.

Die Autorin ist Redakteurin der taz Foto: Archiv

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