Hormone im Kulturbetrieb

Das hannoversche Erotik-Magazin Feigenblatt möchte die Lücke schließen zwischen aufgebrezelter Hochglanz-Ästhetik und den Sex-Platitüden des Boulevards. Dabei steht hinter dem Heft kein großer Zeitschriften-Verlag, sondern vor allem ein Paar, das mit dem Feigenblatt Paare erreichen möchte

Gute erotische Geschichten zu schreiben ist schwer. Anregend sollen sie sein, aber nicht platt, scharf, aber nicht vulgär. Oft gebe es Geschichten, in denen ein Bruch entsteht, wenn es um das Benennen von Geschlechtsorganen geht, sagt Redakteur Herbert Braun. „Man ordnet sich damit zwangsläufig auf einem bestimmten Niveau ein.“ Unabhängig von der Frage, ob eine erotische Geschichte eher literarisch oder pornographisch daherkommt, besteht die Gefahr, im Erotik-Fach in die Phrase abzurutschen. Das hat dann die Feigenblatt-Redaktion zu verhindern. Hier eine Auswahl von Formulierungen, die im Feigenblatt nie auftauchen werden: Der Feigenblatt-Index der Erotik-Phrasen.

„Das lästige Stückchen Stoff“„makellos“„knistern“„kundige Hände“„seine Männlichkeit drückte sich ab“„Sie spürte das Pochen in seiner Hose“ KLI

VON KLAUS IRLER

Bemerkenswert ist, dass hier keine Brüste an der Wand hängen. Oder Sixpacks. Es gibt keine gerahmten Titelbilder, auch kein Sofa mit Cocktailtischchen. Statt dessen stehen in dem schmalen Raum in einem hannoverschen Hinterhof zwei große Bildschirme auf funktionalen Bürotischen, in einem schlichten Regal stehen ein paar Bücher, in einem anderen liegen die bereits erschienenen Ausgaben des Magazins Feigenblatt. Und es gibt Kartons mit Briefumschlägen, denn dieser Raum ist nicht nur Redaktion, sondern auch Poststelle.

Der Raum sieht so aus, als ob es hier mehr um Inhalte ginge, als um Äußerlichkeiten. Obwohl das Produkt, das hier entsteht, großen Wert auf ein ansprechendes Auftreten legt: Anja Braun, 35, macht hier das erotische Kulturmagazin Feigenblatt. Das erscheint seit Oktober 2005 alle drei Monate jeweils zum Jahreszeitenwechsel und bietet auf rund 60 Seiten erotische Geschichten, Fotografien und Features. Dabei kreist jede Ausgabe um ein Thema: Aktuell geht es um „Anderswo“ im Hinblick auf Sex im Urlaub, im Frühling war das Thema „Aufklärung“, die Erstausgabe behandelte „Das erste Mal“. Zudem gibt es in jeder Ausgabe Rezensionen erotischer Bücher, Filme und Ausstellungen. Anja Braun ist die Herausgeberin, zur Redaktion gehören außerdem Anja Brauns Mann Herbert Braun und Caroline Pritzel.

Nun möchte man meinen, dass der Zeitschriften-Markt eines bestimmt nicht braucht: Ein Erotik-Magazin. Erstens ist Sex allgegenwärtiges Medienthema und zweitens boomt nicht die Erotik, sondern die Pornographie. Das sehen Anja und Herbert Braun genau so und sind gerade deswegen überzeugt, dass ihr Feigenblatt eine Marktlücke abdeckt: „Wir wollten etwas machen, das das Thema in den Mittelpunkt stellt und es würdigt“, sagt Herbert Braun. „Außerdem wendet sich Feigenblatt nicht nur an Männer oder nur an Frauen, sondern an Paare.“

Es geht natürlich um einen Gegenentwurf zur Hochglanz-Ästhetik des Playboy, zur Monotonie der 30-Aufrisstipps-für-Sommer-Magazine oder der Plattheit der Boulevard-Magazine. Und es geht um eine Gegenposition zur Doppelmoral bei Sex-Beiträgen: „Die Medien zeigen Nacktheit und regen sich gleichzeitig darüber auf. Diese Bigotterie und Heuchelei macht mich wütend“, sagt Herbert Braun.

Paare als Zielgruppe und eine gewisse Würde im Umgang, das bedeute beim Feigenblatt, dass nicht nur Aktfotografien von Frauen, sondern auch von Männern gezeigt werden – wenngleich die männliche Aktfotografie jenseits der muskelstrotzenden Schwulen-Ästehtik schwer zu bekommen sei, sagt Anja Braun. Und auch für die Titelseite nicht in Frage käme: „Es ist seltsam: Eine nackte Frau auf dem Titel wird als erotisch wahrgenommen. Bei einem nackten Mann denken alle: Das ist ein Schwulen-Magazin. Das Magazin würde dann nicht mehr von heterosexuellen Männern gekauft werden“, sagt Herbert Braun.

Quantitativ deutlich mehr Raum als die Bilder aber haben die Texte, und die wiederum sind vor allem literarischer Art: Erotische Geschichten beispielsweise des iranischen Exil-Autors SAID oder schlicht von Sanne, Jahrgang 1977, mit Job in einer hannoverschen Kanzlei und Veröffentlichungen bislang nur im Internet. Das Kriterium bei der Auswahl der Geschichten: „Wir haben sowohl Texte, die literarischen Anspruch haben als auch solche, die den Hormonhaushalt in Schwung bringen sollen. Wichtig ist, dass die Texte, die auf die Stimmung gehen, nicht zu tief im Niveau sinken“, sagt Herbert Braun.

Was gut funktioniert, vor allem auch deswegen, weil das Feigenblatt geschickt eine Not zur Tugend gemacht hat: Es gibt keinen finanzstarken Verlag hinter der Zeitschrift, weswegen die Fotografen und Autoren (noch) unentgeltlich im Feigenblatt veröffentlichen. Gleichwohl gibt es eine redaktionelle Auswahl. Das macht die Zeitschrift zur Plattform für Talente und vor allem die erotischen Geschichten noch ein Stück erotischer: Weil sie Einblick gewähren in die Phantasien von AutorInnen, die ein gewisses Niveau erreicht haben, aber nicht den Routinen und dem Kalkül des Profis unterliegen.

Das mit den fehlenden Honoraren allerdings solle sich nach Möglichkeit ändern, sagt Anja Braun, die die Idee für das Feigenblatt hatte und zur Anschubfinanzierung ihren Schrebergarten verkaufte. Anja Braun arbeitete vorher als Bauzeichnerin und als Webdesignerin in Berlin und ging 2005 mit Ehemann Herbert nach Hannover: Der bekam dort einen Job bei der Computerzeitschrift c‘t, nachdem er zuvor in Bayern Literaturwissenschaften studiert und in Berlin auch als Webdesigner gearbeitet hatte. Gemeinsam realisierten die beiden das Feigenblatt: Sie ganztags, er nach Feierabend.

Nach anfänglich 1.000 Exemplaren Auflage sei man mittlerweile bei 5.000 und würde immerhin eine schwarze Null schreiben können, sagt Anja Braun. Nach und nach würden es mehr Verkaufsstellen, Feigenblatt gibt es in Erotik-Läden, im Bahnhofsbuchhandel und über die Website im Internet www.feigenblatt-magazin.de. Zeitschriftenläden sollen dazu kommen. Wobei die erste Hürde ist mit den Besitzern zu klären, in welche Kategorie das Magazin dort eingeordnet werden soll. Dem Ehepaar Braun wäre am liebsten: Unter Kultur.