Luxus für alle

Seinen Durchbruch erkämpfte sich das Berliner Modelabel Kaviar Gauche 2004 auf den Straßen von Paris. Auf der diesjährigen Berlin Fashion Week gewannen die Designerinnen Alexandra Fischer-Roehler und Johanna Kühl den „Karstadt New Generation Award“. Porträt eines Labels

Taschen sind keine banalen Accessoires, keine Nebendarsteller neben dem Kleid

VON ANNABELLE HIRSCH

Jede Erfolgsgeschichte hat ihren Ursprungsmythos, doch die meisten dieser Legenden sind erfunden. Die Ursprünge des jungen Modelabels „Kaviar Gauche“ hingegen haben echtes Mythenpotenzial. Schon sehr früh, während ihres Studiums an der Berliner Modeschule Esmod, erkannten die Designerinnen Alexandra Fischer-Roehler und Johanna Kühl die stilistische und konzeptionelle Ähnlichkeit ihrer Entwürfe; seitdem arbeiten sie zusammen. Nachdem sie im Januar 2004 ihre erste Kollektion erfolgreich auf der Premium Messe in Berlin präsentiert hatten, gab es für die beiden nur eine Mission: Paris! Ohne Kontakte und als völliger Newcomer eroberte das Berliner Label prompt die Modestadt. Das verdankte sich einer Guerillastrategie, die für große Aufmerksamkeit sorgte. Mitten auf der schicken Rue Saint Honoré, die unter anderem auch den Élysée-Palast beherbergt, und zwar in unmittelbarer Nähe der international als Modemekka verehrten Boutique Colette, hatten die beiden Designerinnen ein gewöhnliches Apartment in einen Showroom umfunktioniert. Damit nicht genug: Sie hängten Lautsprecher aus den Fenstern und sprengten mit dieser Guerillashow den rigiden Rahmen der Pariser Modewoche. Die Mission war erfolgreich: Neben einer Vielzahl von Kontakten konnten sie durch ihr unkonventionelles Auftreten den Trendscout von Barneys und mit ihm ein internationales Modepublikum für sich gewinnen.

Ihre aufwendig gefalteten Lamella-Beutel hatten in kürzester Zeit den Status des absoluten It-Bags erreicht und schmücken seitdem die Arme von Stars wie Charlize Theron und Heike Makatsch. In ebendiesen halbmondförmigen Taschen liegt auch der konzeptionelle Kern des Labels verborgen. Denn es handelt sich nicht um ein banales Accessoire, das seine Funktion nur als untergeordneter Nebendarsteller neben dem Kleid erhält. Die Kollektionen von Kaviar Gauche bilden vielmehr einen perfekt abgerundeten Kosmos, in dem die Symbiose von Kleid und Tasche immer im Zentrum steht. Konkret bedeutet das, dass sich die sorgfältig bearbeiteten Lamella-Stücke der Taschen auf den Rock oder das Kleid übertragen werden, und umgekehrt Details des Kleidungsstücks auf die Taschen überführt werden. Das Spiel mit Kontrasten, das kostbare Materialien wie Seide mit rohen Filzelementen kollidieren lässt, gilt als weiteres Fundament ihrer ausdrucksstarken Ästhetik.

Ausdruck und Idee hat bei den jungen Designerinnen in der Tat äußerste Priorität, und das wirkt sich auch auf ihre Arbeitsweise aus. Während viele andere Designer ihre Kollektionen konzipieren, indem sie sich zuerst an den gedachten Wünschen ihrer Kundinnen orientieren, arbeiten Alexandra Fischer-Roehler und Johanna Kühl eher wie Künstlerinnen an ihrer Staffelei: Sie probieren Ideen aus und sehen, was passiert. Jede Kollektion entwickelt sich durch das Prinzip der Symbiose und das Spiel mit den Materialien fast eigendynamisch aus der vorherigen. Ein Mehr an Kundenorientierung konnte aber bei ihrer letzten Show auf dem „Karstadt New Generation Award“ der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin 2007 trotzdem deutlich bemerkt werden. Auch Anita Bachelin, Leiterin der Premium, sieht das so: „Alexandra und Johanna haben mit Taschen angefangen. Man sieht förmlich die Entwicklung, ohne dass sie ihren Stil und ihre Richtung verloren hätten.“

Mit dem Versuch, neben ihrem avantgardistischen Taschendesign vor allem mit femininen Kleidern aufzufallen, hat das Designduo die Jury des „New Generation Award“ überzeugt. Nächstes Jahr hat es nun die Chance, zwei Kollektionen für Karstadt zu entwerfen und damit nicht nur in den üblichen Karstadt-Filialen vertrieben zu werden, sondern auch in den Premiumhäusern wie dem KaDeWe.

Alexandra Fischer-Roehler und Johanna Kühl sehen in diesem Projekt eine große Chance, für ihr eigenes Label wie für das deutsche Modebewusstsein. Sie selbst haben ihr wirtschaftliches Segment mit der Entwicklung hin zum Abendkleid und noch hochwertigeren Materialien bereits fast überschritten und stehen jetzt am Übergang in den Luxussektor. Die junge, modebewusste Frau zurück zu H&M schicken wollen sie aber nicht und hoffen deshalb, mit ihrer Untermarke für Karstadt (über deren Namen noch verhandelt wird) auch weiterhin junge Frauen stilsicher zu kleiden, ohne sie in den Ruin zu stürzen. „Und warum sollten solche Kleider nicht aus Deutschland kommen?“ fragt Alexandra Fischer-Roehler.

Sie hat aber auch beobachtet, dass die Nachfrage nach Mode und Luxus in den letzten Jahren in Deutschland gestiegen ist und ein gewisser Hedonismus, wie man ihn in Frankreich kultiviert, langsam auch im deutschen Bewusstsein reift. Nicht umsonst, meint sie, boomen derzeit Berliner Nobelrestaurants wie das Borchardt oder auch das Grill Royal. Wer sich bisher an dem Widerspruch im Namen „Kaviar Gauche“ gestört hat, dem geht jetzt vielleicht ein Licht auf: Der Name spielt auf die von Jean-Paul Sartre so getaufte französische „Gauche Caviar“ an, die sich ideologisch links positionierte, aber einen dekadenten Lebensstil kultivierte. Eine ins Positive gewendete Idee des Salonkommunismus findet sich in der Mode Kaviar Gauches wieder. „Kaviar Gauche“ wird als „moderner Luxus“ begriffen, der sich eher durch eine Haltung als durch seinen monetären Gegenwert definiert.

Diesen Luxus schenken Alexandra Fischer-Roehler und Johanna Kühl der Modewelt mit authentisch-lockeren und trotzdem glamourösen Kreationen. Wie im Berliner Verständnis von Glamour muss auch bei Kaviar Gauche nicht immer alles eins zu eins sein: „Ein Abendkleid muss nicht aus einer teuren Seide sein, es kann auch einfach ein Kleid aus einem schönen Chiffon sein, und das reicht meistens schon!“