„Die Stimmung heben“

WEIHNACHTSGESCHICHTE „Stricken und Dickens“ heißt, frei nach den Repentistas, ein Abend auf der Veddel

■ 39, freischaffender Schauspieler und Synchronsprecher. Stimmlage: Bariton, Heimatdialekt: Hessisch.

taz: Herr Schneider, warum soll das Publikum zu Dickens’ Weihnachtsgeschichte stricken? Diese Erzählung um einen spät geläuterten Geizhals ist doch kein Grund für harmlose Handarbeiten!

Thorsten Schneider: Das stimmt, allerdings haben wir aus der Not eine Tugend gemacht. Eigentlich wollten wir mit der Veranstaltung die Damen belohnen, die hier im Stadtteil auch für andere stricken und Sachen ausbessern. Dann fanden wir es aber schade, dass so exklusiv zu machen und haben die Veranstaltung geöffnet. Damit sich aber niemand über die Strickenden wundert, haben wir das Ganze „Stricken & Dickens“ genannt.

Der Abend steht in der Tradition der „Repentistas“. Was sind das für Leute?

Ich kenne das aus Berichten aus Kuba und der Ex-DDR. Da wurden die staatlich geförderten Schauspieler angehalten, zum Ausgleich in Betriebe zu gehen und den Arbeitenden vorzulesen, um die Stimmung zu heben. Meist waren das Texte aus der Zeitung, manchmal Belletristik.

Sie werben damit, dass Sie eine „nie dagewesene“ Version der Geschichte zeigen. Inwiefern?

Ich habe die Geschichte um den Protagonisten Ebenezer Scrooge gekürzt und ins Heute versetzt. Im Zentrum steht die Familie von Scrooges Angestelltem, die sich die Krankheit des Sohnes nicht leisten kann. Damit will ich nicht sagen, dass es heute so schlimm ist wie während der Industrialisierung damals. Aber einige Probleme ähneln sich.

Und wie funktioniert Ihre Performance?

Ich trete als Scrooges Neffe auf, der die Geschichte erzählt, und wechsle zwischen Lesung und Spiel. Dabei wandere ich hier im Café von Gruppe zu Gruppe und komme zum Happy End hin immer stärker ins Spielen hinein.

Sie nehmen keine Gage, der Eintritt ist frei, und Sie nennen das Ganze Benefiz-Abend. Für wen?

Für die Leute hier auf der Veddel, für die Kultur ein teils unbezahlbarer Luxus ist. Und ich bin auch nicht der Einzige; es gibt einige Kreative, die hier Aktionen machen – in einem Stadtteil, in dem durch IBA, IGS und das „New Hamburg“-Projekt des Schauspielhauses im Herbst dieses Jahres Hoffnungen geweckt wurden. Jetzt ist der Jungdramaturg wieder weg, Arbeitsplätze in neuen Cafés sind nicht entstanden; es blieb viel verbrannte Erde. Die Bewohner sind enttäuscht, und das versuchen wir mit Abenden wie dem heutigen aufzufangen.  INTERVIEW: PS

Lese-Performance „Stricken & Dickens“: 20 Uhr, Westend Wilhelmsburg, Vogelhüttendeich 17