Kühles Design aus Russland

Neue russische Apartments erlauben ihren ersten Nutzern zunächst alle Freiheiten. Nur die Außen- und die tragenden Innenwände sind fix. Die ifa-Galerie zeigt die „Neue Innenarchitektur in Russland“ – und überzeugt mit Dezenz

„Lust auf Raum“ heißt die aktuelle Ausstellung der ifa-Galerie, die sich zuletzt verstärkt dem Thema Architektur und Design zugewendet hat. Einmal, weil deren Entwicklungen oft einen besonders lebendigen Einblick in Lebensstil und aktuelles Lebensgefühl ganz unterschiedlicher Gesellschaften geben. Zum anderen, weil sie damit ein Alleinstellungsmerkmal für sich reklamieren kann. Denn andere Kunstinstitutionen machen Architektur und Design nur selten zu ihrem Gegenstand. Mit ihrem Design-Schwerpunkt 2007 ist die ifa-Galerien also cutting edge. Doch sie droht ihrer avancierten Position verlustig zu gehen. Denn der Kunstbetrieb rückt nach.

Nicht von ungefähr heißt die Sonderausstellung des kommenden 12. Art Forums Berlin „House Trip“. Die ausgewählten Künstler, so der Kurator der Ausstellung Ami Barak, beschäftigen sich „mit Fragen des ‚home sweet home‘, mit Wohnzimmern als privaten Landschaften und der Architektur als Ausdruck des Begehrens und der Sehnsucht“. Dabei operiert Barak mit einem der vielen Mythen des Alltags, dem nämlich vom Künstler als Ausnahmeerscheinung. Im Pressegespräch erklärt er daher, der Künstler komme gar nicht umhin, einen besonderen Geschmack zu entwickeln, als gewissermaßen urwüchsiger Ausweis seiner privilegierten Situation. Sie verspricht Barak erfahrbar zu machen, sobald der Messebesucher mit „House Trip“ endlich in der Welt der Kunst, nun ja, eben zu Hause sein wird.

So großspurig muss die ifa-Galerie, die erstmals – auch in einer umfangreichen Monografie – die „Neue Innenarchitektur in Russland“ international vorstellt, nicht auftreten. „Lust auf Raum“ spricht den konkreten Umstand an, dass die neuen Apartmenthäuser in Russlands Städten nur aus der äußeren Hülle und den tragenden Innenwänden bestehen. Beim Erstbezug eines Apartments muss dessen Ausbau erst noch geleistet werden, was bedeutet, der Mieter oder Eigentümer kann seine Lust auf Raum, etwa auf nur drei statt vier Zimmern, frei ausleben.

Erstaunlicherweise weichen die Wohnungen und Büros der Luxusklasse, wie sie die Ausstellung vorstellt, trotz dieser individuellen Gestaltungsfreiheit nicht wirklich vom Üblichen ab. Viel edles Holz, viel Glas, Stahl und hochglanzpolierte Oberflächen, viel Weiß und viel Licht, sei es natürlich oder künstlich: Nein, die Innenarchitektur wird in Russland nicht neu erfunden. Auch nicht als ein spezifisch russisches Ding, versteht man darunter eine Prachtentfaltung, die weniger urban als feudal auftritt und deshalb gerne den entscheidenden Tick fetter und üppiger ausfällt als erwartet. Nein, die Pracht der vorgestellten Wohnungen, Restaurants, Shops, Büros und Ateliers entfaltet sich entgegen dem hiesigen Stereotyp meistenteils im Understatement eines eher kühlen, betont funktionalen Ambientes.

Das überrascht, denn dieser rationale Stil knüpft nicht nur an internationale Standards an und deren Vorläufer im konstruktivistischen Bauen eines Konstantin Stepanowitsch Melnikow, eines Ilja Alexandrowitsch Golosow oder der Brüder Vesnin, denen die Architekturmoderne des 20. Jahrhunderts einige ihrer bedeutendsten Ikonen verdankt. Er greift auch die dürftige Sachlichkeit jenes Billigbaus auf, der weltweit mit dem Begriff sozialistisch identifiziert wird. Statt auf Formen zurückzugreifen, wie sie wirklich nur in Russland entstanden, sei es unter Stalin oder dem einen oder anderen Zaren, zeigen die jungen Architekten gewissermaßen die bislang unbekannte, glamouröse Kehrseite des Altbekannten – und plötzlich wirkt die modulare Moderne superschick und neu.

Was aber ist tatsächlich neu am Interieurdesign von Boris Bernaskoni, Alexander Brodsky, Anton Nadtochy & Vera Butko, Alexei Kosyr oder Michail Filipow? Den fünf besonders herausgestellten Inneneinrichtern?

Neu ist die Aufgabe selbst, nicht ihr ästhetischer Ausdruck. Spezifisch russisch sind die Bedingungen – Materialmangel, extremer Zeitdruck, aber auch das Angebot von freigesetztem Fachwissen aus der Raumfahrt-Industrie –, unter denen dieser Aufgabe nachgegangen wird, nicht der Stil, in dem das geschieht. Dieser reflektiert im Großen und Ganzen die internationalen Trends. Das gestehen auch die Protagonisten der neuen russischen Innenarchitektur in den Filminterviews ein, die im Zentrum der Ausstellung stehen. Überhaupt operiert „Lust auf Raum“ visuell eher bescheiden mit kargem Videomaterial, denn cutting edge setzt nicht auf die Opulenz der Oberfläche, sondern den diskursiven Hintergrund. BRIGITTE WERNEBURG

Bis 12. August, Linienstr. 139/140, Di., Do., So. 14–19 Uhr, Fr., Sa. 14–21 Uhr, Katalog (DOM Publishers) 78 €