Lebensverlägernde Maßnahmen

Die Tageszeitung stirbt mit ihren Lesern aus, behaupten manche Wissenschaftler. Es rückt keine Nachwuchsleserschaft nach. Die informiert sich lieber im Internet. Eine Bremerin hält mit einer Nachrichtenagentur für Kinder dagegen und will die Zeitung retten

Es kommt selten genug vor, doch die Fachwelt ist sich einig: die Beziehung von Jugend und Tageszeitungen steht vor dem Aus. Eine medienpädagogische Studie stellte kürzlich fest: nur vier Prozent der Jugendlichen halten die Zeitung für das am wenigsten verzichtbare Medium. In zwei Jahren, so prognostizieren amerikanische Forscher, wird in den USA nicht einmal mehr jeder zehnte der 20- bis 29-Jährigen täglich Zeitung lesen. Manche Forscher sind gar sicher, die gedruckte Zeitung werde mittelfristig völlig aussterben, verdrängt durch Fernsehen und Internet.

Eine Kommunikationswissenschaftlerin aus Bremen will nun dem drohenden Zeitungstod Einhalt gebieten. Die letzten Jahre hat Judith Roth mit der Erforschung des Zeitungsleseverhaltens Jugendlicher verbracht. Ihre Erkenntnis: Die junge Zielgruppe findet nicht recht zu dem Medium Tageszeitung. Herkömmliche Artikel, sagt Roth, würden Kinder abschrecken – zu viel werde vorausgesetzt. „Dabei haben Kinder klare Fragen, mit denen sie ernst genommen werden wollen. Das ist eine „journalistische Herausforderung“, sagt Roth.

Die ausgebildete Journalistin machte sich mit einer Kindernachrichten-Agentur selbständig. Ab September beliefert sie die Nachrichtenagentur Deutscher Depeschen Dienst (ddp) mit einem Kinder-Newsticker. Zehn tagesaktuelle Meldungen soll dieser umfassen, gedacht für LeserInnen im Alter von acht bis zwölf. Freie AutorInnen und eine Pädagogin unterstützen sie, hinzu kommen einige SchülerInnen, die Roths Meldungen wöchentlich testlesen. „Durch den Kontakt mit den Schülern sehen wir genau, ob die Texte für Kinder funktionieren“, sagt Roth. Ihre Ansprüche sind hoch: Mit nicht mehr als 1.500 Anschlägen will sie künftig voraussetzungsfrei Fragen wie „Was ist die EU-Verfassung?“ oder „Warum ist Krieg im Irak?“ erklären.

Erster auf dem Markt ist ihr Joint-Venture nicht: Bereits im April startete Branchenführer dpa einen Kinder-Ticker. Auch hier bereitet eine eigene Redaktion täglich etwa 25 Agenturmeldungen kindgerecht auf. Neu an Roths Konzept ist etwas anderes: Aus ihren eigenen Kinder-News produziert sie bereits seit einiger Zeit jede Woche eine Art Instant-Kinderseite namens „Klaro Safaro“. Diese kann von Zeitungsredaktionen komplett ins Layout gehoben werden. Der Erfolg ist beachtlich: einige Monate nach dem Markteintritt erscheint Roths Fertig-Seite derzeit in einer wöchentlichen Auflage von 350.000 Exemplaren, verteilt auf neun Regionalzeitungen.

Einer ihrer Kunden ist die Münsterländische Tageszeitung (MT) im niedersächsischen Cloppenburg. Die Region macht seit einiger Zeit von sich reden: Nirgendwo in der Republik werden mehr Kinder geboren als in Südoldenburg.

MT-Chefredakteurin Angelika Hauke zog daraus die Konsequenz: „Wir haben lange überlegt, einen Kinderteil zu machen. Im kinderreichsten Landkreis muss man diese Altersgruppe schließlich als Leser erschließen.“ Als Roths Offerte samt zweier Musterseiten in der Post lag, war Hauke sofort begeistert: „Alles ist sehr professionell, die Inhalte kommen ohne Verniedlichung aus.“

Seit vier Monaten erhält Hauke nun jeden Donnerstag eine E-Mail mit der fertig vorproduzierten Seite, samstags erscheint sie im Blatt. Manchmal meldet sie vorher bei der Kindermedienagentur inhaltliche Sonderwünsche an. Die Abonnenten seien begeistert gewesen, selbst LehrerInnen würden die „Klaro Safaro“-Seite im Unterricht nutzen. Für die Konkurrenzblätter der Region hat Hauke per Vertragsklausel einen Lieferausschluss vereinbart: Roth darf ihre Seite in der Gegend nicht noch einmal verkaufen. Das Engagement ist auch Zukunftssicherung: „Jüngere Familien entscheiden sich immer seltener für ein Zeitungsabo,“ sagt Hauke. „Über die attraktive Kinderseite wecken wir neues Interesse für uns.“

Selbst herstellen hätte sie die Seite nicht können: „Wenn man das gut machen will, hätten wir einen neuen Redakteur und einen Grafiker dafür einstellen müssen.“

Etwas großzügiger kalkulierte der Berliner Tagesspiegel. Das Hauptstadt-Blatt leistet sich seit Jahren jeden Samstag den von Experten als „Best Practice“ gelobten „Kinderspiegel“. „Eine Bravo im Zeitungsformat zu machen, das kam für uns nicht in Frage“, sagt Tagesspiegel-Redakteurin Grit Thönnissen. Viele Kinder-Inhalte in Tageszeitungen seien „einfach etwas blöd“, häufig würde schlicht vereinfacht statt besser erklärt, sagt Thönnissen.

Trotzdem wolle man „kein verlängertes Schulbuch“ sein. Im Gegensatz zur „Kindermedienagentur“ werden beim Tagesspiegel keine Kinder zum Testlesen eingeladen. „Wir lassen viele unserer Texte von Kinderreportern und Schülerpraktikanten schreiben.“

In den Kindernachrichten-Markt sei Bewegung gekommen, sagt Thönissen. Die Branche beginne, mit neuen Angeboten dem Bedeutungsverlust bei den jungen und ganz jungen gegenzusteuern. Externen Zulieferern will man sich beim Tagesspiegel dennoch nicht anvertrauen: „Die meisten Kindernachrichten berichten immer noch nur über das, was Erwachsene interessiert – und das noch nicht einmal wirklich kindgerecht“. CHRISTIAN JAKOB

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