Nach der Welt endlich Afrika

Von Zumutungen und Ausputzern: Das brasilianische Baile-Funk-Trio Bonde do Role rettete mit einem Gaga-Auftritt den Schlussakkord des Popdeurope-Festivals 2007

Das Musikmagazin de:bug schrieb über sie als „den faulen Apfel des Baile Funk“: drei weiße Mittelstandskids aus einer mittelgroßen brasilianischen Stadt, die mit ihrem Derivat aus Favela-Partysounds im Westen groß rauskommen, aber zu Hause gar nicht erst versuchen, auf einem echten Ghetto-Rave akzeptiert zu werden. Bonde do Role landeten in kürzester Zeit vom M.I.A.-Produzenten beim Franz-Ferdinand-Label Domino, ihr erstes Album „With Lasers“ wird seit Juni schon mal als eines der Musikprodukte des Jahres gehandelt. Bonde-do-Role-Sängerin Marina sagte über die Band: „Bonde do Role ist die ultimative, stumpfe Party.“ Was sie in Berlin schon mal im März im Rio eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben sollen.

Beim letzten Popdeurope-Konzert dieser Saison wollte man sich das – zugegeben ein bisschen im Modus des nacheilenden Gehorsams – in der Arena schnell noch mal genauer anschauen, bevor der, in Anbetracht des Albums etwas überzogene, Hype wieder implodiert. Mit schnell war’s allerdings Essig. Das Programm setzte die Brasilianer ganz ans Ende einer allzu langen Nacht voller allzu herkömmlicher Bespaßungsmucke.

Die neunköpfige Truppe vom französischen Babylon Circus brüllte einmal kräftig „Le spectacle commence!“ und raste dann mit durchschnittlich 170 bpm durch ein sehr professionell dargebotenes und in SachenPublikumsreaktionen perfekt kalkuliertes Ska-Set. Tausende hüpften, surften die Crowd und gaben dem schon bald halbnackten Sänger die Energie, nach der er fortgesetzt verlangte. „Dances of Resistance“ heißt das bislang einzige Album dieses Zirkus. Und tatsächlich ging es in ihrem letzten Stück auch irgendwie darum, Städte in Brand zu setzen. Ach, warum sagt diesen links verbrämten Universalbands nicht mal jemand, dass sie sich das mit dem Widerstand abschminken können, wenn sie als hoch effektive Eventmanager das Jungvolk derart ausflippen lassen – vor der Bühne, nicht auf der Straße. Pop in seiner ganzen schrecklichschönen Ambivalenz zwischen Aufrührertum und Schmieröldasein.

Zu den nachfolgenden Orishas, ziemlich erfolgreich in Frankreich arbeitenden Exil-Kubanern, nur so viel: Alle schienen sie top zu finden. Sie waren aber grauenvoll. Und trompeteten, schmierseiften und pseudorappten in ihrer unerträglichen Hall-Wolke bis kurz nach eins.

Als Bonde do Role dann endlich erschienen, sah das verbliebene Häuflein vor der Bühne nicht mehr nach ultimativer Party aus. Aber MC Pedro, DJ Gorky und Marina schafften es, nach hinten raus noch mal ordentlich auszuputzen. Dabei war alles, was sie taten, gaga: „Final Countdown“, Daft Punk und Metalgitarren in ziemlich stanzenhaften Favela-Booty-Bass hineinzurühren, unverständliche Feierslogans zu skandieren und dazu extrablöde Körperbewegungen zu machen – sich gegenseitig auf den Rücken springen oder zwischen den Beinen durchkriechen, dauernd mit den Händen das Metaller-Teufelszeichen machen, den Beckenbereich stoßweise vor- und zurückbringen, sich wechselseitig anpogen. Marina wirkte in ihrer zeitgemäßen 80er-Verkleidung wie die extrarotzige Tochter von Peaches und Hanin Elias, Pedro wie ein Rucksacktourist – und der dicke DJ Gorky trug ein T-Shirt, auf dem „I believe in the future of Africa“ stand. Bonde do Role machen sich lächerlich, sind lächerlich, wissen das, wollen nicht mehr, wunderbar, gerade nach allem davor. Nach einer halben Stunde hatten sie aber keinen Bock mehr. KIRSTEN RIESSELMANN