Wenn etwas nicht stimmt

MOMENT Das Ende kommt von einer Sekunde zur anderen. Gewissheiten wanken, alles ist möglich. Zumindest suggerieren das diese Bilder

VON MARTIN REICHERT

Das Ende eines Regimes, einer Ehe, eines Lebensabschnitts – es kommt meist nicht plötzlich und auch nicht über Nacht. Wohl aber gibt es ganz kurze Momente, in denen das Ende so tut, als sei es eben bloß ein kurzer Moment und sonst nichts weiter. Das Ende, es scheint zum Greifen nah. So sagt man. Und so scheint es auch auf diesen Bildern der Mächtigen, aufgenommen zu jenem Zeitpunkt, an dem sie sie – die Macht nämlich – augenscheinlich verloren haben.

Der Beobachter erfasst diesen Moment in der Regel vor dem Fernsehbildschirm. Womöglich isst er gerade eine Tiefkühlpizza, kommt gerade von der Arbeit oder aus dem hauseigenen Weinkeller, wo er eben noch darüber sinniert hat, wie schön es doch ist, in halbwegs geordneten Verhältnissen zu leben. Alles richtig gemacht zu haben. Oder doch nicht?

Ist wirklich noch alles in Ordnung, wenn die Nachrichtensprecherin im Fernsehen plötzlich eine Knarre in der Hand hält und damit wild gestikulierend für die Beibehaltung des Systems plädiert, über das sie immer berichtet hat? Das Bild ist ein Still aus dem libyschen Staatsfernsehen, so wie das darunter zu sehende: Gaddafi unter einem Regenschirm. Eigentlich, erklärt er, habe er ja zu seinem sich in Aufruhr befindlichen Volk kommen wollen, um die ganze Sache in Ordnung zu bringen. Aber wenn es doch regnet?

Und Saddam Hussein? Sagt mal „Aaa!“, statt Volksreden zu halten. Ein netter alter Herr mit gemütlichem Vollbart statt Autokraten-Schnauz. Hat fertig. Vielleicht Zahnschmerzen. Bald wird man ihn hinrichten.

Erich und Margot Honecker kommen aus der Berliner Charité. Er hat Krebs. Er wird verhaftet. Ein alter, kranker Mann. Ganz schmal im Gesicht, die Frau an seiner Seite ist traurig, und die DDR gibt es nicht mehr.

Elena und Nicolae Ceausescu sind dem Tode schon recht nah, als sie in warme Mäntel gehüllt auf ihre Hinrichtung warten. Zwei alte Leutchen aus Rumänien.

Mubarak siech und wächsern, auf einer Bahre liegend wird ihm der Prozess gemacht. Die rechte Hand hat er erhoben, als stünde er noch immer aufrecht und grüßte die Untergebenen.

Es geht zu Ende. Gaddafi hatte vierzig Jahre lang in bizarrer Kleidung Libyen regiert. Saddam Hussein in Uniform den irakischen Schurken gegeben. Honecker schien wie die Mauer aus Beton zu sein und Ceausescu der unsterbliche Patriarch, der seinem Volk einfach die Heizung abdreht, wenn in der Staatskasse gerade nicht genug Geld ist. Und Mubarak? Eine Mumie seiner selbst, immer schon.

Was wäre eigentlich, denkt der Beobachter, vor seinem Fernseher sitzend, wenn man selbst in einen solchen Augenblick geriete, in dem alles bislang Richtige plötzlich falsch wäre?