DIE STIMMEN DER ANDEREN
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■ De Volkskrant (Niederlande)

Das Kopfgeld auf Gaddafi ist verständlich

Der Übergang zu einer neuen Ordnung kann nur mühsam verlaufen in einem Land, wo sich rund 40 Jahre lang alles um einen Mann und seine Gefolgschaft drehte. Dass dieser eine Mann immer noch auf freiem Fuß ist und die Öffentlichkeit blufft, ist eine Komplikation, die man in Libyen so gut brauchen kann wie Zahnschmerzen. Daher ist es verständlich, dass auf seinen Kopf ein hoher Preis ausgesetzt wurde. Es unterstreicht, wie wichtig es ist, dass allein die Spitze des Regimes gejagt wird und dass die neuen Machthaber normale Mitglieder der bisherigen Sicherheitskräfte nicht ausschließen, wie das anfangs im Irak geschehen war.

■ The Times (Großbritannien)

Die Verpflichtung des Westens hält an

Der Westen hat Libyen dabei geholfen, die Diktatur abzuschütteln. Er muss jetzt bereit sein, das Land in Richtung Demokratie zu führen. Gewiss ist es Sache der Libyer, ihre Zukunft aufzubauen. Doch Großbritannien und der Westen sind verpflichtet, sie dabei zu unterstützen. Der Westen hat die Lehren aus der Erfahrung im Irak gezogen und ist heute besser gerüstet, Libyen zu Stabilität, zu bürgerlichen Freiheiten und zu Beziehungen mit der übrigen Welt zu verhelfen.

■ Le Croix (Frankreich)

Libyens Erdöl ist Fluch und Segen

Das Erdöl ist für Libyen eine Chance und gleichzeitig ein Fluch. Chance, weil der Reichtum unter dem Erdboden dem Land nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes die Mittel gibt, sich eine Zukunft aufzubauen. Das schwarze Gold ist jedoch auch ein Fluch, denn ohne das leicht fließende Ölgeld hätte sich das größenwahnsinnige Regime Gaddafis nicht vier Jahrzehnte lang halten und mit Geldgeschenken an die Stämme den inneren Frieden erkaufen können. Es ist gewiss kein Zufall, dass die meisten arabischen Länder, in denen sozialer Aufruhr ausgebrochen ist, Tunesien, Ägypten, Jemen, Marokko und Syrien, rohstoffarme Länder sind.

■ Corriere della Sera (Italien)

Gaddafi hatte nicht immer nur Feinde

Begehen wir nicht den Fehler zu denken, dass der Oberst immer unpopulär gewesen sei. Die nationalistischen und die antiwestlichen Ausfälle Gaddafis gefielen einem Teil der libyschen Gesellschaft und der afrikanischen Öffentlichkeit. Religionslose und gemäßigte Muslime befürworteten die Härte, mit denen er Brandherde des radikalen Islamismus bekämpfte und erstickte.

■ Die Presse (Österreich)

Rückfall in die Scheckbuch-Diplomatie

Jetzt versucht Berlin nachträglich den Fuß mit Wirtschaftshilfe in die Tür des Übergangsrats zu bekommen: Ein peinliches Unterfangen und die Rückkehr zur Scheckbuch-Diplomatie. Gerade ein Land, dem es derzeit so gut geht, sollte erkennen, dass es sich auch um das Umfeld seiner auf Exporten basierenden Wirtschaft kümmern muss. Was Deutschland blüht, ist eine Verösterreicherung der Außen- und Europapolitik.

■ Frankfurter Rundschau (Deutschland)

Westerwelles Irrtum

Der Erfolg der Nato ist ein später Beleg dafür, dass die Entscheidung falsch war, die Außenminister Guido Westerwelle am 17. März getroffen hat. Es war aber wohl eher eine Entscheidung aus dem Bauch heraus – nicht gestützt von den anderslautenden Ratschlägen seiner Spitzendiplomaten, sondern genährt von der Sorge, deutsche Soldaten in ein ungewisses Abenteuer schicken und später dafür geradestehen zu müssen. Wer Politik macht, darf sich nicht vor der Übernahme von Verantwortung drücken. Wäre die Bundesregierung selbstbewusst und nicht geduckt aufgetreten, hätte sie den Verbündeten im März sehr wohl erklären können, warum sie der Resolution zwar zustimmt, doch keine eigenen Soldaten entsenden kann.

Quellen: dpa, afp