Hackeralarm, Hackerhysterie

Vor dem, was man nicht versteht, ist die Angst am größten.

Angst vor dem, was man nicht versteht, hat in dieser Woche aus einem Hack bei der Firma Sony einen Akt des Cyberterrorismus gemacht. Seit Wochen schon hauen die Hacker, die sich selbst „Guardians of Peace“ nennen, regelmäßig Geheiminfos heraus – von Lästereien einer Sony-Grande über die Talentlosigkeit von Angelina Jolie bis hin zum Skript des neuen James-Bond-Films.

Das ist ganz schön geschäftsschädigend für Sony. In dieser Woche eskalierte das Ganze dann aber zu einer kleinen nationalen Krise: Die Premiere des Films „The Interview“, in dem es um ein Mordkomplott gegen Nordkoreas Diktator Kim Jong Un geht, wurde abgesagt. Mehr noch: Auch in 18.000 Kinos in den USA, wo der Film am 25. Dezember anlaufen sollte, wird er nicht zu sehen sein. Wegen einer ominösen Drohung, die die Sony-Hacker in einem Statement online veröffentlichten – gerichtet an alle, die sich auch nur in der Nähe der Kinosäle aufhalten, in denen „The Interview“ gezeigt wird, garniert mit einem 9/11-Vergleich. Und schon ist die ganze Rhetorik da. Der Begriff „Cyberterrorismus“ macht in der US-Berichterstattung die Runde. Auch Sony selbst trägt zur verbalen Abrüstung wenig bei. Selbst ein Obama-Sprecher erklärte das Schreiben zu einer „ernsten Angelegenheit der nationalen Sicherheit“.

Es ist verständlich, dass solche Attacken beunruhigend sind. Für Sony sowieso – denn von jetzt auf gleich wieder mit Stift, Papier und Fax arbeiten zu müssen, das wünscht man nicht einmal dem schlimmsten Unterhaltungsindustriellen. (Andererseits sollte man auch nicht verschweigen, dass Sony schon zuvor wiederholt Ziel von Hackerangriffen geworden ist, die IT-Sicherheitsvorkehrungen der Firma Experten zufolge aber dennoch weiter zu wünschen übrig ließen.)

Beunruhigend ist auch, dass – wie so oft bei derartigen Angriffen – noch immer unklar ist, wer dahintersteckt. Nordkoreanische Elitehacker werden immer und immer wieder als Urheber genannt. Das klingt schön dramatisch, nach Bond, und es gibt es sogar einige Indizien dafür – nicht zuletzt das massive Interesse an der Sabotage des „The Interview“-Filmstarts. Nordkorea selbst verneint jede Beteiligung. Eine andere Theorie: Mails deuteten auf Versuche hin, Geld von Sony zu erpressen.

Wie dem auch sei: Angesichts eines Datendiebstahls von „Terrorismus“ zu sprechen, schießt über das Ziel hinaus. Paradebeispiele dafür, was Terrorismus wirklich ist, gab es leider diese Woche auch. Der Taliban-Angriff auf Schüler in Pakistan etwa – skrupellose Attacken auf die Wehrlosesten, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Sony ist aber nur ein Unterhaltungskonzern. Das Ganze ist schmerzlich für diesen – aber keine Staatskrise. Der amerikanische IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneider mutmaßte gar, dass Sony die Cyberkriegs-Termini deswegen auspackt, um die Sache schlimmer aussehen zu lassen, die Firma wehrloser, als sie tatsächlich gewesen ist – einfach um von ihren eigenen Versäumnissen abzulenken.

Daher ist es richtig, dass in den USA derzeit darüber gestritten wird, warum nun über „The Interview“ im Kino niemand lachen gehen darf. Dass Hacker den Opfern ihrer Angriffe oft mit großmäuligstem Triumphgeheul und Drohungen auf der Nase herumtanzen, hat in der Szene eine lange Tradition. Wie entscheidet man da abgewogen, welche freche Drohung man ernst nimmt und wann man sich unnötigerweise erpressbar macht? In welchem Verhältnis steht es, wenn nach einem Amoklauf bei einer „Batman“-Premiere in den USA, bei dem ein Dutzend Menschen sterben, der Film dennoch anläuft – eine digital geäußerte Drohung aber dafür sorgt, dass ein Streifen kurzfristig aus Tausenden Kinos genommen wird?

Auch in der US-Justiz wird immer wieder nach dem richtigen Maß des Bedrohens und Bestrafens im Digitalen begangener Taten gesucht. Das zeigt das aggressive Vorgehen gegen Whistleblower aller Art, gerade unter Obama. Und das zeigt sich auch aktuell im Prozess gegen den texanischen Journalisten und Anonymous-Mitmischer Barrett Brown. Wegen der Koordination diverser Hacks und angeblicher Sprechertätigkeit für Anonymous droht dem 33-Jährigen eine Gefängnisstrafe von 105 Jahren. Jetzt, dank eines kundigen und engagierten Verteidigers, dank der Tatsache, dass diverse Anklagepunkte gegen ihn fallen gelassen wurden und Brown sich auf einen Deal einlassen könnte, könnten davon zwei bis achteinhalb Jahre übrig bleiben.

Sicher ist das allerdings noch nicht – das Urteil, das eigentlich in der vergangenen Woche verkündet werden sollte, wurde noch einmal auf Januar verschoben.

MEIKE LAAF