Tierisch hilfsbereit

Das 3. Globians Film Festival in Potsdam zeigt globalisierungskritische Dokumentarfilme, die mit wenig Geld produziert komplexe Gesellschaftsporträts zeichnen und viel Ambivalenz aushalten

„Dark Water Rising“ erzählt die Katastrophe von New Orleans 2005 neu

VON DOMINIK BERNSMANN

Groß, grau und schwermütig dreht ein Elefant seine Runden auf der Leinwand, und trotz Schwermut und Alters ziehen seine langsamen Bewegungen und seine müden Kunststückchen in den Bann. Vielleicht ist es archaischer, vormenschlicher Instinkt, der uns immer wieder in Spannung versetzt, sobald sich ein tierischer Körper bewegt. Bewegung ist aber auch gleichzeitig das Medium, in dem sich die filmische Technik und die Wesensart des Tieres, die uns Menschen am meisten fasziniert, treffen. Kein Wunder also, dass der Film „The Elephant Man“ von Daniel Opitz, den die diesjährige 3. Auflage des Potsdamer Globians Film Festival zeigt, so gut funktionierende, fesselnd schöne Bilder liefert.

„The Elephant Man“, das ist Chris Gallucci, Harley-Davidson-Fan und in Kneipenschlägereien erfahrener Rocker, der 28 Jahre seines Lebens dem afrikanischen Elefantenbullen Timbo gewidmet hat. Timbo lebte bis zu seinem Tod, nach Ende der Dreharbeiten, als größter und ältester Elefant Amerikas im Wildtierreservat von Alfred Hitchcocks Muse, Hollywood-Diva Tippi Hedren. Dort hat ihn der Filmemacher Opitz besucht und in ihm und seinem Tierpfleger Chris ein aufregendes Gespann entdeckt.

So wie der Elefant über eine sehr eigene, unberechenbare Persönlichkeit verfügt, offenbart auch Gallucci eine kriminelle Vergangenheit und seine heutige Menschenscheu. Erkennbar wird eine Verbindung zwischen ihm und dem Elefanten, deren Konnex das geteilte Gefühl ist, ungezähmte Wildheit zu verspüren und doch an die Kette gelegt zu sein. Parabelhaft reflektiert Galuccis Beziehung zum Tier, wie er sich als Menschen sieht. Das wäre nur halb so schön, würde im selben Film nicht die Schauspielerin Tippi Hedren über ihren Angestellten und Freund Chris Gallucci reflektieren. Unter der Maske einer typischen Hollywood-Interviewsituation blitzt hervor, wie sie ihren Mitarbeiter wirklich einschätzt: So wie Chris Gallucci den ungezügelten Elefanten schätzt und fürchtet, spricht Tippi Hedren auch über ihren Tierpfleger, den Elefantenmann.

Auch ein anderer der insgesamt 72 Festivalbeiträge beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Mensch und Tier. „Dark Water Rising“ von Mike Shiley erzählt die humanitäre Katastrophe, die 2005 den Hurrikan „Katrina“ in New Orleans ausgelöst hat, mittels der tierischen Katastrophe, die dort stattfand. Die Katastrophenschutzbehörde ordnete für die Evakuierung an, Haustiere zurückzulassen. Tausende von Hunden und Katzen wurden angeleint, eingesperrt, hungernd oder dürstend in den Sturmgebieten zurückgelassen. Der Film begleitet offizielle Tierschutzorganisationen und besonders hartnäckige Einzelkämpfergruppen, die wochenlang verwüstete Gebiete durchkämmen, um die Zurückgelassenen zu bergen. Die Filmemacher dringen mit den Tierschützern in ein Katastrophengebiet ein, in dem auch ein Atombombenabwurf stattgefunden haben könnte. Das ist bewegend. Dennoch bleibt bemerkenswert ambivalent, geradezu offen, wie der Film sich seinen Helden stellt.

Zwar bezeugen verfaulende Tierkörper, bis auf das Skelett abgemagerte Hunde und ein Massaker von Einsatzkräften an streunenden Tieren die Notwendigkeit dieses freiwilligen Einsatzes. Gleichzeitig schockiert, wie die Mehrzahl der Protagonisten vor der Kamera menschliche Schicksale, gefundene Leichen und die Armut der Slumbewohner, die sich jetzt vor allem in zurückgelassenen Pitbulls manifestiert, ignorieren oder dem tierischen Leid unterordnen. Am Ende bleibt das Porträt einer Gesellschaft, an deren Verhältnis zum Tier sich eindrucksvoll die conditio humana ablesen lässt.

Das Globians Film Festival zeigt jedoch nicht nur Tierfilme, sondern weitere Themenschwerpunkte liegen bei ethnologischen Filmen und der Globalisierungskritik. Das Eindringen des Menschen in die Natur wird hinterfragt oder die rein anthropozentrische Frage nach Erinnerung, Lebensstil und Lebensbedingungen auf allen Kontinenten gestellt. Jeweils ist das Anliegen, von Fernsehsendern und Kinoproduzenten unabhängig produzierte „welt & kultur Dokumentarfilme“ zu zeigen.

Die nichtsuggestive Erzählhaltung vieler Beiträge wird auch von einem Film geteilt, der sich mit einer vorsichtigen globalisierungskritischen Absicht dem Fremdenverkehr am Sambesi, dem Grenzfluss zwischen Sambia und Simbabwe, widmet. „Livingstones Heirs“ von Martina Backes und Steffen Schülein beschäftigt sich mit dem Rafting-Tourismus dort. Behutsam stellen die Filmemacher dar, wie das Treiben am Fluss einen eklatanten Riss aufmacht zwischen den westlichen Besuchern, die nach sportlicher Aktivität suchen, und einem Hilfsarbeitersystem aus Lastträgern, die die schwere Sportausrüstung schleppen.

Gezeigt wird ein Gewerbe, dessen Investitionen an den Einwohnern Sambias vorbeigehen und der Agrarbevölkerung Land abtrotzen. Gleichzeitig wird aber auch offenbar, dass Träger aufsteigen können, als Rafting Guides die Welt bereisen und auch die Touristen ihr Bild von Afrika nicht nur mit Spaß und „Activities“ bereichern. „Livingstones Erben“ bleibt zurückhaltend, wenn es darum geht, Oppositionen aufzumachen, Ausbeuter und Ausgebeutete gegenüberzustellen oder gar Beschuldigungen und Lösungsvorschläge auszusprechen. So wie bei diesem Beitrag versucht das Globians Festival, filternde Fernsehredaktionen und Verleihinteressen außen vor zu lassen. Viele Filme erscheinen so bemerkenswert roh, konzentrieren sich jedoch auf ein schützenswertes Anliegen: einen kritischen Blick auf die Welt zu werfen.

3. Globians Film Festival, 11.–19. 8., Kulturhaus „Altes Rathaus“ Potsdam. www.globians.com