Mit Bluejeans und langen Haaren

Es gab eine Zeit, in der die DDR und die BRD kulturell gar nicht so weit voneinander entfernt schienen. Diese Nähe begann 1971, nachdem Erich Honecker auf dem VIII. Parteitag der SED verkündet hatte: Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgehe, könne es in Kunst und Literatur keine Tabus geben. Der Autor und langjährige Defa-Dramaturg Ulrich Plenzdorf, der am Donnerstag im Alter von 72 Jahren in Berlin starb, gehörte zu jenen, die die neue künstlerische Freiheit für sich in Anspruch nahmen. Seine beiden berühmtesten Werke, die 1972 erschienenen „Neuen Leiden des jungen W.“ und das wenig später entstandene Drehbuch zum Film „Die Legende von Paul und Paula“, begeisterten in Ost und West.

„Die neuen Leiden“, die Plenzdorf 1968 ursprünglich als Filmszenarium verfasst hatte, war das erste DDR-Buch, das den Generationenkonflikt thematisierte. Im sozialistischen Deutschland war es nicht einfach, sich den Roman zu besorgen. Offiziell wurde kritisiert, dass der junge Aussteigerheld häufig auf dem Plumpsklo sitzt, über seine Verdauung sinniert, Salingers „Fänger im Roggen“ toll findet, Bluejeans trägt – und sich (in einer Version) am Ende das Leben nimmt. Im Westen wurde das Buch bald zur Schullektüre, und so fanden Teile des DDR-Jugendjargons Eingang in BRD-Klassen. Das Buch wurde bis heute über 4 Millionen Mal verlegt und in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

Der traurig endende Liebesfilm „Die Legende von Paul und Paula“ gehört zu den erfolgreichsten DDR-Filmen überhaupt. Mit den Songs, die Plenzdorf dafür geschrieben hatte, „Geh zu ihr“ und „Wenn ein Mensch lebt“, wurden die Puhdys auch im Westen berühmt.

Nicht nur seine Erfolge, auch die Niederlagen des SED-Mitglieds Plenzdorf waren DDR-typisch. Filme wurden verboten; die Textmontage, mit der er 1978 den Bachmann-Preis gewann, wurde in der DDR nie veröffentlicht. Die Zeit einer sozusagen unschuldigen kulturellen Annäherung, für die er stand, endete mit der Biermann-Ausbürgerung 1977, gegen die er mit protestierte.

Die Jahre nach 1990 stimmten Plenzdorf nicht gerade optimistisch. 2004 gab er einem Sammelband mit Beobachtungen aus der ostwestdeutschen Wirklichkeit den Titel „Ich sehn mich so nach Unterdrückung“. Als Drehbuchautor blieb er im Geschäft: Er war der Nachfolger von Jurek Becker für „Liebling Kreuzberg“, schrieb die Drehbücher für „Der Laden“ (nach Strittmatter) oder Falladas „Trinker“ und eine zornige Politrevue „Revolte Reform, Rewü“.

Man erinnert sich an Ulrich Plenzdorf als einen, der schöne lange Haare trug und Bluejeans. DETLEF KUHLBRODT