Auf dem Fahrrad
: Schickes Gerät

Sie haben sehr schöne Beine, sagt der Mann

Die nur zwei Bahnen breite Schwimmerabteilung im Freibad ist überfüllt. Es herrscht Unordnung deutscher Art – man spricht nicht miteinander und man verabredet nicht, wer wo schwimmt. Stattdessen stürzen die Schwimmer aufeinander los, bis die Schwächeren den Weg für die Stärkeren räumen. Ich bin zwar nicht so stark, aber dafür stur. Das funktioniert auch.

Nun habe ich es geschafft, nach vierzig Minuten Kampf und eineinhalb Kilometern verlasse ich das Becken und genieße kurz die Sonne. An der roten Ampel bleibe ich stehen und beobachte meine Beine. Ich war drei Monate lang in meiner israelischen Heimat, habe dort Shorts getragen und meine Beine gezeigt. Es ging gar nicht anders, es war heiß. In Israel herrscht traditionell eine stark haarfeindliche Kultur. Darum gibt es an jeder Ecke Haarbekämpferinnen aller Art, die ihre Arbeit mit Fleiß und Freude machen. Solche Dienstleisterinnen sind in Berlin selten zu finden. Eine Phänomen von Angebot und Nachfrage, vermute ich.

Ich überquere auf meinem Rad schräg und nicht ganz ordnungsgemäß die große Kreuzung. Hinter mir fährt einer, der immer näher kommt. Mein Körper, leicht starr, bereitet sich schon auf eine der üblichen bitteren Beschimpfungen vor. Stattdessen sagt der Mann: Darf ich Ihnen ein Kompliment machen? Klar, sage ich. Sie haben sehr schöne Beine, sagt der Mann höflich und korrekt, als ob es sich bei meinen Beinen um ein schickes Gerät handelte, das ich bei mir trage. Danke, sage ich. Wie lustig, so ein Gespräch zu führen, und dann auch noch im Plural. Ich habe sie mir selber gerade angeschaut und Pflegebedarf entdeckt, sage ich. Keine Sorge, antwortet der Mann. Wir fahren ein Stück zusammen. Kurz bevor wir in verschiedene Richtungen abzweigen, ruft er mir zu: Ihre Kette dagegen müssten Sie schon mal pflegen. Sie macht schon Geräusche. TAL STERNGAST