Die bewegte Frau

Esra’a Al Shafei aus Bahrain will per Internet Menschen zum Handeln veranlassen. Vor Kurzem hat sie ihr 16. politisches Webportal gegründet

VON KLAUS RAAB

Wenn man das Wort „Meinungsfreiheit“ bebildern wollte – Esra’a Al Shafeis Gesicht wäre eigentlich das richtige dafür.

Vor fünf Jahren war sie zum ersten Mal im Internet. Jetzt sagt sie: „Es ist ein Tor für die freie Rede. Das mag nichts Besonderes sein in Deutschland. Aber für uns“ – und sie meint die WebaktivistInnen des arabischen Raums – „ist es die einzige mediale Plattform, auf der jeder sagen kann, was er denkt.“ Al Shafei gehört zu den vornehmlich jungen Leuten, die eine nach wie vor recht neue Aufstandsform propagieren: Online-Kritik an Mächtigen, an festgefahrenen Strukturen, an Ungerechtigkeiten, über die kaum berichtet wird. Außer im Netz.

„Zeitungen und Fernsehen“, sagt sie, „sind hier nicht verlässlich. Viele Medien sind staatlich. Es ist schwierig, sich umfassend zu informieren.“ Das Internet aber – diese These hat sie Anfang August auf einer Konferenz in Kanada vertreten, zu der sie als Rednerin eingeladen war – ermögliche Freiheit, „zumindest in einem intellektuellen Sinn“.

Die Zwanzigjährige aus Bahrain hat kürzlich ihr 16. Webportal gegründet, an einem Dutzend weiterer schreibt sie mit. Die Themen sind Minderheitenrechte, religiöser Fanatismus oder Zwangsprostitution. Bald will sie ein Portal über Homosexuellendiskriminierung im Nahen Osten online stellen. Die Seite migrant-rights.org hat sie geschaffen, um auf die Diskriminierung von Migranten in der Golfregion hinzuweisen. Nohonor.org befasst sich mit Ehrenmorden.

Das Motto: „Think ahead“

Derzeit studiert sie in der Schweiz Politikwissenschaft, bevor sie 2008 nach Bahrein zurückkehren will, um von dort aus weiterzumachen. Sie nennt es: „meine Arbeit tun“. Und sie hat HelferInnen; alleine, sagt sie, gehe es nicht. Der eine schreibt über Menschenrechtsverstöße in China, die andere über Frauenhandel. Sie wollten Aufmerksamkeit erzeugen, sagt Al Shafei. „Wir wollen nicht die Regierungen stürzen. Wir wollen ein neues Handeln. Dafür braucht man ein anderes Denken.“ Im Logo von mideastyouth.com, ihrer 2006 gegründeten ersten Seite, steht quasi das Motto der Arbeit: „Thinking ahead.“

Esra’a Al Shafei selbst arbeitet zurzeit vor allem für freekareem.org. Sie will damit den ägyptischen Blogger Abdul Kareem Nabeel Suleiman ins Bewusstsein schreiben, dessen Fall durch die Medien geisterte, als er im Februar zu vier Jahren Haft verurteilt wurde; auch die taz berichtete. Er hatte in seinem Weblog – der Nazi-Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gewidmet – Anklagen verfasst: Das „wahre Gesicht“ der Muslime, schrieb er dort, pauschal und streitbar, „zeigt Barbarei und Fanatismus“. Er kritisierte die ägyptische Regierung und die Al-Azhar-Universität als „Universität des Terrorismus“. Esra’a Al Shafei sagt: „Selbstverständlich teile ich seine Ansichten nicht!“ Das Ausrufezeichen betont sie. Aber, sagt sie, „er hat natürlich das Recht, sie zu äußern.“

Dass also das, was sie tut, brisant ist – der Fall Kareem beweist es. Al Shafei hat schon Morddrohungen erhalten. Sie weiß nicht, ob sie ernstzunehmen seien, aber unvorsichtig will sie nicht sein. „Die Arbeit, die wir tun, ist gefährlich in unserer Gegend“, sagt sie. „Es könnte riskant sein, mein Foto zu veröffentlichen.“ Esra’a Al Shafeis Gesicht also, das eigentlich das richtige wäre, um das Wort „Meinungsfreiheit“ zu bebildern, bleibt aus Sicherheitsgründen verborgen.

Doch sie arbeitet daran, dass das nicht mehr nötig ist.