„Der mediale Blick ist sehr sentimental“

In der Berichterstattung über die Maul- und Klauenseuche geht es weniger um Fakten als um Phantasmen, sagt der Künstler Bernhard Kathan. Wir interessieren uns nur dafür, solange wir Bilder von brennenden Kühen zu sehen kriegen

BERNHARD KATHAN, 54, lebt in Innsbruck. In seinem Buch „Zum Fressen gern. Zwischen Haustier und Schlachtvieh“ beschreibt der Kulturhistoriker, Schriftsteller und Künstler die Kulturgeschichte der Tierliebe (Kulturverlag Berlin 2003). Indem der Schlachthof aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt wurde, so die These Kathans, begann der Siegeszug der scheinbaren Vermenschlichung, mit der wir Tieren heute begegnen.

taz: Herr Kathan, wenn Rinder Maul- und Klausenseuche bekommen, erschreckt die Bevölkerung, obwohl sie Menschen gar nicht gefährdet. Warum interessieren wir uns auf einmal für Schlachtvieh?

Bernhard Kathan: Das brennende Tier auf dem Feld – das sieht für uns aus wie ein Opfer. Das sind ganz starke Bilder. Würden die Kadaver in einer Tierkörperbeseitigungsanlage zermahlen, würden wir kaum reagieren. Die Medien machen aus diesen Bildern eine Geschichte, die viel mit Sentimentalität, aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Das funktioniert, weil die meisten Menschen noch nie in einem Stall oder in einem Schlachthof waren. Städter und Bauern sind einander vollends entfremdet.

Allerdings hat die Maul- und Klauenseuche einen realen Hintergrund …

Ja natürlich, aber jenseits der Fakten tauchen doch eine Menge Phantasmen auf. Die Medien sprechen immer nur die Empfindlichkeiten an, die es noch gibt. Ich nenne ihnen ein Beispiel: In Österreich gab es in den 70er-Jahren eine Tollwutepidemie. Damals beschäftigten sich viele mit der Frage, wie stark die gefährlich gewordene Natur in die Stadt vordringt. In den Berichten wurden ausschließlich junge Frauen vom Fuchs gebissen. Komisch. Denn Jäger und Förster im Wald werden doch sicher eher angegriffen, als ein Mädchen, dass im Dorf in einen Supermarkt geht. Interessant ist eben immer das Besondere.

Warum blenden wir die alltäglichen Produktionsabläufe in der Agrarindustrie aus?

Sie sind zu kompliziert. Mit einer rührseligen Betrachtung – ja, es ist fruchtbar, dass Kühe angebunden sind – kommt man da nicht weiter. Man muss sich mit der Struktur beschäftigen, mit den ökonomischen, rechtlichen und sozialen Bedingungen, die auf dem Land herrschen. Das überfordert viele.

Das Leben der Kuh ist zu komplex, um Mitleid erregen zu können?

Ach wissen sie, eine Kuh ist einfach zu groß. Bauern züchten mittlerweile für Kinder zum Streicheln extra Zwergziegen. Sie unterscheiden sich dann kaum noch von Hunden: Auch die werden nicht gegessen und müssen schön ausschauen. Kuscheltieren müssen Gefühle und Beziehungsfähigkeit zugesprochen werden können.

Warum vermenschlichen wir Tiere?

Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die Wahrnehmung des Tieres deutlich geändert. Bevor die Bauernhöfe mit ihren Tieren aus dem Sichtfeld der meisten Menschen verschwanden, stand das Nutztier im Mittelpunkt des Interesses. Tierschützer haben sich damals zum Beispiel dafür eingesetzt, dass Pferde nicht geschlagen wurden. Hunde haben sie überhaupt nicht interessiert. Der Siegeszug der Kuscheltiere entstand erst durch den Rückzug der Nutztiere. Wir gleichen dadurch Defizite in der Gesellschaft aus. Es ist verständlich, dass einsame Menschen Katzen, Hunde und Sittiche haben. Tierliebe ist eine moderne Erscheinung.

Tierschutzvereine haben mehr Mitglieder als jene Institutionen, die sich dem Schutz von Kindern widmen. Warum?

Ich kenne einen russische Autorin. Sie lebt in Petersburg und hat zu Hause ein Katzen- und Hundeasyl. Sie sammelt für die Tiere, die sie durchfüttert, Geld. Für mich ist das unverständlich, denn die Armut der Menschen in Russland ist unbestreitbar. Doch für sie ist das kein Problem. Die Tiere kämen unverschuldet in eine Notlage, meint sie. Bei Menschen sei das oft anders, sie würden trinken oder wären nicht fleißig genug.

Na und?

Wenn wir Leute sehen, die verarmt sind, dann erinnern sie uns daran, dass es uns auch mal so ergehen könnte. Davon geht eine Bedrohung aus. Das kehren wir um, indem wir sagen, sie sind selbst schuld. Wir müssen uns nicht kümmern. Tiere hingegen sind unschuldig.

Und wieso spenden viele für streunende Katzen, aber an der Ladentheke verweigern sie mehr Geld für eine tiergerechte Landwirtschaft?

Alle reden viel von Öko und Tierschutz. Tatsächlich kümmern sich aber nur wenig um eine neue Landwirtschaft. Wer sich mal die Bestimmungen für die Rinderhaltung anguckt, der kommt darauf: Sie lassen sich immer ökonomisch begründen, nicht ethisch. Muss im Laufstall eine bestimmte Gangbreite eingehalten werden, dann dient das der Verdauungsaktivität der Viecher.

Wird sich das Verhältnis vom Menschen zum Nutztier also nicht mehr ändern?

Schauen Sie sich die Klagen über die Erhöhung der Milchpreise an. Wir geben derzeit vielleicht 14 Prozent unsere Geldes für die Ernährung aus. Die Lebenshaltungskosten werden insgesamt nicht dramatisch steigen. Eine andere Landwirtschaft kostet aber mehr Geld, und der emotionale Gewinn dafür ist zu gering.

INTERVIEW: HANNA GERSMANN