Brutale Ernüchterung

Nach der Auftaktniederlage gegen den MSV Duisburg erklärt Dortmunds Trainer Thomas Doll die Vorbereitungsspiele für beendet. Das macht Sinn. Denn bereits am Wochenende trifft Borussia auf den Lokalrivalen FC Schalke 04

DORTMUND taz ■ Das Trainingszentrum von Borussia Dortmund liegt auf einem ehemaligen Kasernengelände. Die Häuserblöcke, in denen britische Soldaten wohnten, werden derzeit abgerissen. Als die Spieler gestern Morgen zum Auslaufen erschienen, sahen sie wieder die vielen Bagger, die mit ihren großen Schaufeln den Schutt auf Lastwagen luden. Alles in Trümmern – dieses Bild musste den Profis irgendwie bekannt vorkommen. Zumindest als Momentaufnahme, ein paar Tage vor dem großen Derby beim FC Schalke 04, ist es auch für ihre Situation erlaubt.

Niemand sollte nach neunzig Minuten Bundesligafußball ein seriöses Urteil über den angeblich neuen BVB fällen wollen, auch kein vorläufiges. Aber beim 1:3 gegen den MSV Duisburg reichten am Sonntagabend 64 Minuten, um aus der „totalen Euphorie“, die in der Stadionzeitschrift noch einmal nachhaltig beschworen wurde, eine brutalstmögliche Ernüchterung werden zu lassen. „Das war viel zu wenig“, sagte Trainer Thomas Doll. Nachdem er seine einzelnen Kritikpunkte vorgebracht hatte, klang das sogar noch beschönigend. „Viel zu pomadig, zu behäbig, keine Schnelligkeit“, hatte Doll bemängelt. Hinzu kamen „zu viele Ausfälle“ und „schwere Köpfe, denn schwere Beine konnten es ja nicht sein“. Es war also gar nichts statt „viel zu wenig“. Sportdirektor Michael Zorc polterte: „Waren die Erfahrungen in der letzten Saison nicht beschissen genug, dass man so in ein Spiel gegen den MSV Duisburg geht?“

In Dolls Analyse, in der er wie stets auf Einzelkritiken verzichtete, lag der Trainer in den meisten Punkten richtig. Nur die Annahme, dass niemand schwere Beine gehabt haben könne, war falsch. Genau darüber klagte nämlich Robert Kovac. Der Neuzugang von Juventus Turin kam stets „einen oder zwei Meter zu spät“ und erlaubte Manasseh Ishiaku damit die ersten beiden Bundesligatore zum 0:1 (8.) und 0:3 (64.). Kovac, Tinga und Philipp Degen fielen in einer schwachen Dortmunder Mannschaft noch etwas ab. Einige Fehlentwicklungen im Spiel des BVB waren schon früh zu erkennen. Daher stellte sich die Frage, warum Doll nicht eher reagierte. Tempospiel über die Flügel war sein Rezept auf der Taktiktafel gegen Duisburger, die – beflügelt von der frühen Führung – eine ganz starke Leistung zeigten. Tinga aber war auf der linken Mittelfeldseite kaum auf dem Flügel zu finden. Er schleppte sich über den Platz, ging Zweikämpfen aus dem Weg. „Ich hatte den Eindruck, dass es für manche noch ein Vorbereitungsspiel war. Darüber werden wir in dieser Woche reden“, schimpfte Doll. Auf der rechten Verteidigungsseite spielte Degen, bei dem auch alles besser werden sollte, fehlerhaft wie meistens im BVB-Trikot. „Wir sind ganz kalt erwischt worden“, sagte Roman Weidenfeller. Der Torhüter ist bekannt für seinen Ehrgeiz, der ihm wohl manchmal den Blick für die Realität nimmt. „Die Duisburger haben das Spiel nur zerstört, mit vielen Fouls“, sagte Weidenfeller.

Teilweise ging der MSV an – und auch über die Grenzen. Aber Weidenfeller übersah bei seiner Spieleinschätzung, dass der Aufsteiger sich den Sieg durch eine sehr konzentrierte Defensivleistung und einen schnellen und präzisen Konterfußball verdient hatte.

Ivica Grlic fädelte die meisten Angriffe geschickt ein. Mohamadou Idrissou und Ishiaku, der seinen ersten Treffer mit einer spektakulären Turnübung am Boden – zweifacher Überschlag mit abschließendem Salto, sicher in den Stand – feierte, flitzten den BVB-Verteidigern davon. Die Fans des MSV riefen nur nach Ailton, weil sie aus dessen Schalker Zeiten wissen, dass langes Sonnenbaden dem Gemüt des Brasilianers eher schadet.

MARCUS BARK