„Ich weinte vor Glück“

LA TABLADA, ARGENTINIEN Sebastián Sánchez, 35, Mechaniker

Der Vater einer meiner besten Nachbarsfreunde hatte eine Werkstatt, und dessen Mutter ließ mir ab und an was zukommen. Einmal hatte ihr Sohn nagelneue Turnschuhe, und ein paar Tage später gab sie mir ebenfalls neue. Die würden ihrem Sohn zu klein sein. Heute weiß ich, dass sie mir die geschenkt hat, weil meine ziemlich am Ende waren. Mein Vater, Arbeiter, hat die Grundschule nicht zu Ende machen können. Meine zwei Schwestern haben heute Uniabschlüsse, sprechen drei bis vier Sprachen. Allein das ist ein Riesensprung in meiner Familie.

Ich bin der Jüngste und mein Vater hat mir immer gesagt: „Das Einzige, was ich von dir verlange, ist, dass du einen Schulabschluss machst.“ Mit 15 Jahren ging ich auf eine Mechanikerschule in Floresta. Genau in dieser Zeit wurde mein Vater über Nacht entlassen. Wir lebten ein Jahr vom Einkommen meiner großen Schwester. Das prägt. Es gab keinen anderen Weg, als zu lernen, um voranzukommen. Mein Vater stellte mich einem Freund vor, der im Stadtteil Palermo eine Werkstatt hatte. In den Ferien arbeitete ich dort, lernte feilen und schleifen. Mit 19 habe ich meine erste Stelle als Mechaniker angefangen. Ich hatte Glück, damals gab es wenig Arbeit.

Mein Vater hatte nie ein Auto. Ich habe mir mein erstes mit 20 gekauft. Ich war immer auf der Suche nach einem besseren Arbeitsplatz und besserem Verdienst – mal hier, mal dort. 2008 fing ich an, meine eigene kleine Werkstatt einzurichten, dank eines Kredits. Nach der Krise von 2009 zahlte fast keiner mehr seine Rechnung. 2010 musste ich schließen.

Einen Monat später hätte ich bei einer Firma angestellt werden können, aber ich bestand den Gesundheitscheck nicht. Kein Geld, keine Gesundheit. Ich ging zu Fuß, um Fahrgeld für den Bus zu sparen, lief mit leerem Magen herum. Ich musste persönliche Sachen verkaufen, um über die Runden zu kommen.

Der große Traum

Ich bewarb mich bei einer Fabrik, 80 Kilometer außerhalb. Eine Woche später bekam ich den Vertrag, Arbeitsklamotten, Stiefel. Ich ging zum Auto und weinte vor Glück. Zwei Monate später ging mein Auto kaputt. Nur mit einem Kredit konnte ich mir einneues leisten. Mit meiner Frau fing ich an, nach Wohnungskrediten zu suchen. Statt mit einer Dreiraumwohnung im Stadtzentrum mussten wir mit einer Einraumwohnung in einem Außenbezirk vorliebnehmen. Die haben wir gekauft.

Überall wird Personal eingespart. Deshalb habe ich letztes Jahr neben der Arbeit auf einer Technikerschule für Flugzeugbau angefangen – mein großer Traum. Vor fünf Jahren musste ich noch persönliche Dinge verkaufen, um über die Runden zu kommen. Heute habe ich ein Auto und eine eigene Wohnung, bin aber verschuldet.

Im Januar werde ich Vater.

PROTOKOLL: JÜRGEN VOGT