KIM TRAU POLITIK VON UNTEN
: Das Fahrrad ein Raumschiff

Genug von der Realität? Als Kind fällt uns die Flucht in andere Welten leicht. Später braucht es Science-Fiction

Egal ob Buch, Film oder Comic – ich liebe Science-Fiction und Fantasy. Die darin beschriebenen Welten, die so anders sind als unsere, üben eine ungeheure Anziehungskraft auf mich aus. Sie bieten mir Unterschlupf, wenn ich mal wieder Abstand von der Realität brauche.

Als Kind habe ich mir andere Welten noch selbst ausgemalt. Da erkannte ich Städte in den Traktorspuren auf dem Hof meines Onkels, mein Fahrrad wurde zum Raumschiff und mein Schatten war nicht der eines kleinen Jungen, sondern der einer großen schlanken Frau mit langen Haaren und einem weitem Gewand.

Mit meinem ersten Computer waren es die Welten der Computerspiele, in die ich stundenlang eintauchen konnte, bis mir ihre Grenzen zu eng wurden und sie meine Unzufriedenheit mit der Wirklichkeit nicht mehr aufwiegen konnten. Ich konnte in ihnen einfach keine Antworten auf meine Fragen finden, keine Erklärung für meine Angespanntheit. Die fand ich nur in der Realität. Dass etwas mit meinem Körper nicht stimmte, dass ich kein Mann, sondern eine Frau bin.

Sobald sich dieser Gedanke verfestigte, fing ich an, so viel über das Thema zu lesen, wie ich denn nur konnte. Im Rahmen der Linken Buchtage in Berlin ging ich 2008 zu einem Vortrag der Autorin Nadja Sennewald über „Die Inszenierung von Geschlecht in Science-Fiction-Serien“. Da sprach endlich jemand über das, was mich interessierte, und versöhnte mich gleichzeitig mit einem Genre, von dem ich glaubte, dass ich ihm für immer den Rücken gekehrt hätte.

Inzwischen habe ich etliche Science-Fiction- und Fantasy-Bücher gelesen, deren Protagonist_innen in Welten leben, in denen Geschlecht anders funktioniert als in unserer, etwa in dem Klassiker „The Left Hand of Darkness“ von Ursula K. Le Guin, in dem die Figuren weder weiblich noch männlich sind. Und trotzdem – mit jedem neuen Buch, das ich verschlang, fiel mir eines immer mehr auf: Geschlechtliches Anders-Sein machen die Autor_innen durchweg am Körper fest. Keine der Hauptfiguren ist anders, weil sie dies selbst erklärt. Im Gegenteil, der Blick in die Unterhose oder eine Anspielung darauf scheint unverzichtbar zu sein. Die Bewohner_innen Gethens, Haras und weiterer Planeten sind anders, weil ihre Genitalien anders sind – und nicht, weil sie ein anderes Leben führen, als das von jemandem mit Vagina, Penis oder was auch immer erwartet wird. Die Autor_innen spiegeln damit wider, was für unsere Erde gilt: Die Genitalien bestimmen das Geschlecht. Pech für die, deren Genitalien nicht eindeutig sind oder nicht gleichzusetzen sind mit ihrem gelebten Geschlecht.

Die Autorin studiert Geschichte in Uppsala Foto: privat