Sollen Reiche mehr Steuern zahlen?
JA

ABGABEN Der Staat hortet Schulden, einige seiner Bürger horten Geld. Mit höheren Steuern ließe sich beides ausgleichen

Die sonntazfrage der nächsten Ausgabe

Dieses Mal fragen wir: „Wer ist der größte Profiteur von 9/11?“ Die interessanteste Antwort drucken wir in der sonntaz. Jetzt mitmachen: www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Thomas Eigenthaler, 53, ist Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft

Deutschland ist in eine Schieflage geraten: Der Staat ist mit fast zwei Billionen Euro verschuldet, täglich kommen neue Schulden hinzu. Die Kosten der Finanzkrise wurden der Allgemeinheit aufgebürdet, mit der Eurorettung sieht es ähnlich aus. Die Schulden und Zinsen erdrücken Deutschland, sie zerstören die politische Handlungsfähigkeit des Staates. Andererseits gibt es einige Leute, die enorm profitiert haben. Unter dem Schutz des Staates konnten sie ihren Reichtum kräftig vermehren. Während die Lasten vom Staat getragen werden, wandern die Gewinne in private Taschen. Das ist sozial ungerecht und verlangt nach einem solidarischen Lastenausgleich. Deshalb befürworten wir eine Vermögensabgabe für Multimillionäre. Sie sollte einmalig festgesetzt und dann in Raten abgezahlt werden. Die Gelder sollten direkt in einen Fonds fließen und nur zur Tilgung von Altschulden eingesetzt werden. Somit käme der Lastenausgleich allen zugute.

Andrea Nahles, 41, Generalsekretärin der SPD, ist seit 1988 Mitglied der Partei

Ja, das sehen mittlerweile sogar viele Reiche so. Denn: Das reichste Zehntel der Bevölkerung konnte sein Einkommen um knapp 15 Prozent in den letzten Jahren steigern. Dank einer niedrigen Steuerquote von gut 21 Prozent und dem Fehlen einer privaten Vermögensteuer verfügen diese nun über 61 Prozent des Privatvermögens. Gleichzeitig wachsen immer mehr Kinder in Armut auf, müssen Kommunen und Bibliotheken schließen und vielen Schulgebäuden sieht man nicht an, dass Bildung „oberste Priorität“ haben soll. Für den Zusammenhalt der Gesellschaft müssen Vermögende jetzt mehr tragen, auch aus ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse.

Eva Stilz, 50, ist Erbin und Mitunterzeichnerin des Appells für eine Vermögensabgabe

Wir plädieren für die Einführung einer jeweils fünfprozentigen Vermögensabgabe für Reiche über den Zeitraum von zwei Jahren. Danach sollte eine jährliche einprozentige Steuer auf unsere Vermögen erhoben werden. Das bringt eine einmalige Mehreinnahme von 100 Milliarden Euro durch die Abgabe und in den Folgejahren zwischen 10 und 16 Milliarden Euro durch die Steuer. Wir wollen, dass die Einnahmen in Umwelt, Bildung, Pflege und Soziales gesteckt werden. Auch Hartz-IV-Leistungen sollten erhöht werden. Wir möchten so Solidarität mit unseren Mitbürgern zeigen. Wir bevorzugen einen bescheidenen Lebensstil und absolute Steuerehrlichkeit – und müssen die Umverteilung von unten nach oben umkehren!

Malte Schott, 30, Psychologe, hat die sonntazfrage auf taz.de kommentiert

Reiche verdienen ihr Geld ja nicht völlig unabhängig von der Arbeitskraft oder dem Konsum anderer Menschen. Da stünde ihnen doch etwas Solidarität ganz gut. Außerdem: der Mittelschicht und den Ärmeren wird doch auch ständig mit Steuererhöhungen und Staatsverschuldung die Rechnung für das wirtschaftliche Missmanagement der Elite präsentiert. Es wird Zeit, dass das mal umgekehrt wird, die Elite dieselbe finanzielle Verantwortung übernimmt, auch in schlechten Tagen, von der sie in guten Tagen so profitiert.

NEIN

Norbert Barthle, 59, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Im Gegensatz zu Rot-Rot-Grün lehne ich die Wiederbelebung der Vermögensteuer und grundsätzlich auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes im Einkommensteuerbereich ab. Im Koalitionsvertrag haben wir Steuererhöhungen zur Krisenbewältigung ausgeschlossen, der Koalitionsvertrag gilt. Anders als die Opposition beschäftigen wir uns nicht mit zusätzlichen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger, sondern mit steuerlichen Entlastungen der unteren und mittleren Einkommensbereiche – durch Korrekturen bei der sogenannten kalten Progression. Ich schließe aber nicht aus, dass wenigstens zur teilweisen Gegenfinanzierung der geplanten Entlastungen in der Einkommensteuer etwa eine weitere Stufe zwischen dem derzeit geltenden Spitzensteuersatz von 42 Prozent und dem Reichensteuersatz von 45 Prozent eingeführt wird. Dazu erwarte ich diesen Herbst intensive Diskussionen. Aus guten Gründen besteuern wir in unserem Steuersystem im Wesentlichen nicht die Substanz, was bei der Vermögensteuer der Fall ist, sondern den Umsatz und die Einkommen. Zum einen ist die Vermögensteuer verfassungsrechtlich problematisch. Zum anderen würde mit einer Vermögensteuer die Eigenkapitalbasis von Unternehmen dauerhaft geschwächt, die Investitionen in Deutschland würden darüber hinaus zurückgehen. Schließlich besteht die Gefahr, dass Vermögen ins Ausland verlagert werden.

Karl Heinz Däke, 68, ist der Präsident des Bundes der Steuerzahler Deutschland

Wenn Wohlhabende einen größeren Beitrag für die Gesellschaft leisten möchten, haben sie viele Möglichkeiten. Sie können spenden, Stiftungen gründen. Eine Reichensteuer ist mehr Symbolpolitik, als dass sie zur Lösung struktureller Probleme bei der Lohn- und Einkommensteuer beitragen würde. Dringender sind Tarifkorrekturen bei mittleren und kleineren Einkommen, da diese durch die kalte Progression überproportional belastet sind. Hier sollten Reformen ansetzen! Zumal die oberen 15 Prozent der Einkommensteuerzahler für gut zwei Drittel deutscher Steuereinnahmen aufkommen. Und die Rufe nach Steuererhöhungen reflexionsartig ertönen, wenn die öffentlichen Haushalte vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Sie gehen aber oft am Kern vorbei. Die Vergangenheit zeigt, dass Steuermehreinnahmen auch zu Ausgabensteigerungen des Staates führten. Die notwendige Haushaltskonsolidierung kann also nur über Einsparungen erfolgen.

Lasse Becker, 28, ist Vorsitzender der Jungen Liberalen, der Jugendorganisation der FDP

Wer zahlt in Deutschland den Spitzensteuersatz? Die Facharbeiter mit 53.000 Euro Jahresgehalt. Es wäre also kaum gerecht, den Spitzensteuersatz anzuheben. Wir sollten lieber das Steuersystem so vereinfachen, dass Schlupflöcher geschlossen werden. Klar ist: Wir müssen uns um niedrige und mittlere Einkommen, die Krankenpflegerin und den Polizisten, kümmern – eine Gerechtigkeitsfrage. Aber wäre es gerechter, wenn in Deutschland Menschen mehr als 50 Prozent an Steuern und Abgaben zahlten? Das wäre falsch. Vielmehr brauchen wir Anreize, durch die Reiche freiwillig mehr geben. Mit Stiftungen könnten und sollten sie etwa für bessere Aufstiegschancen in der Bildung sorgen – statt mit Steuererhöhungsdiskussionen Abwanderungsgedanken anzuheizen.