„Russland wird schon nervös“

Der Einfluss Chinas in der rohstoffreichen Region Zentralasien wächst, sagt der kasachische Politologe Dosim Satpajew. Aufgrund eigener politischer Fehler befinden sich die USA in der strategisch wichtigen Gegend auf dem Rückzug

Heute treffen sich die Staatschefs der „Schanghai-Gruppe“, die als östliches Gegenstück zur Nato gilt. Sie besteht aus Russland, China, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan, die auf den Gebieten Sicherheit und Stabilität sowie Handel und Wirtschaft zusammenarbeiten. Der kasachische Politologe DOSIM SATPAJEW, 33, leitet die Nichtregierungsorganisation „Gruppe zur Risikobeurteilung“ (www.risk.kz).

taz: Herr Satpajew, hat China das große Spiel in Zentralasien gewonnen?

Dosim Satpajew: Wir beobachten eine immense finanzielle Expansion Chinas in Zentralasien. Die chinesische Regierung reagiert übrigens sehr sensibel auf den Hinweis, dass es sich in Zentralasien alles und jeden unter den Nagel reißt.

Und warum ziehen sich die Amerikaner aus Zentralasien zurück?

Die USA haben einen schweren strategischen Fehler begangen. Sie haben in Zentralasien lediglich auf ein Land gesetzt, auf Usbekistan. Man ging davon aus, dass Usbekistan zur Lokomotive Zentralasiens würde. Doch das Land befindet sich in einer politischen und ökonomischen Sackgasse. Nach dem Massaker bei der Demonstration in Andischan 2005 sind die Beziehungen endgültig zusammengebrochen.

Wie sehen die zentralasiatischen Staaten denn die Beziehungen zu China?

Sie sind geprägt durch Ängste und Hoffnungen: Vor allem ärmere Staaten wir Kirgistan und Tadschikistan, aber auch Usbekistan, erhoffen sich einen Aufschwung durch chinesische Investitionen. Zudem ist man froh, China als Gegenpol zu den USA und als Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus neben sich zu wissen. Es gibt aber zugleich die Angst, dass China die Region lediglich als Rohstofflieferant und Warenabnahmeplatz benutzt und der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder damit langfristig schadet. Und dann gibt es natürlich die als Bedrohung wahrgenommene demografische Entwicklung in China.

Welche Rolle spielt Russland?

Russland engagiert sich nur im Gassektor, aber die Länder Zentralasiens benötigen dringend Investitionen auch in anderen Bereichen. Im Gegensatz zu den Russen sind die Chinesen dazu bereit.

China und Turkmenistan haben vereinbart, eine Gaspipeline quer durch Zentralasien zu bauen. Was bedeutet das für die Region?

Die geplante Gaspipeline ist Teil der chinesischen Strategie, Zentralasien als Rohstoffbecken zu nutzen. Außer diesem Deal mit Turkmenistan gibt es ein fertiges Projekt für eine Gaspipeline mit Usbekistan, ebenfalls in diesem Jahr unterschrieben, sowie die schon fertige Ölpipeline von Zentralkasachstan in das westliche China.

Wird diese Pipeline von Turkmenistan nach China die geopolitische Realität in Zentralasien völlig auf den Kopf stellen?

Ja, Russland wird schon nervös. Denn es gibt begründete Zweifel, ob Turkmenistan mit seinem Gas alle existierende Pipelineprojekte beliefern kann. Gasprom hat mit Turkmenistan auf lange Jahre einen Liefervertrag unterschrieben, und jetzt verspricht Turkmenistan, zukünftig nach China jährlich 30 Milliarden Kubikmeter zu pumpen. Es gibt die Sorge, dass das Gas in Turkmenistan schlicht nicht reichen wird. Das wird zu Rissen in den russisch-chinesischen Beziehungen in der Gassphäre führen.

Hat vor diesem Hintergrund die Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (Schoz), die vor allem von Russland und China dominiert wird, überhaupt eine Zukunft?

Ich denke schon, denn an dieser Organisation ist vor allem China interessiert. Als die Schoz unter Jelzin gegründet wurde, hatte sie vor allem eine antiamerikanische Ausrichtung. Die Organisation hatte die einzige politische Botschaft, den Amerikanern zu zeigen, wer Herr im Hause ist. Aber unter Putin haben sich die Prioritäten ein wenig verändert. Ihn interessiert vor allem die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft. Für China ist die Schoz die einzige Organisation, in der es in Zentralasien eine Führungsrolle innehat. Daher ist vor allem China interessiert, dass sich die Schanghai-Gruppe entwickelt. China hat dazu das Projekt der zwei Räder vorgeschlagen. Das erste Rad ist die Sicherheit, das zweite die Wirtschaft.

Und Russland akzeptiert diese Pläne?

Ja, denn trotz aller Rivalitäten ist China für Russland derzeit ein Partner. Beide Staaten handeln nach dem Prinzip, sich gegen einen gemeinsamen konkreten Gegner in Zentralsien zu verbünden, der sie zwar nicht bedroht, jedoch nervt: die USA. Obwohl die USA ihre Präsenz in Zentralasien herunterfahren.

Das Gipfeltreffen der Schoz wird am 16. August in Kirgistan abgehalten, wenige Kilometer von der amerikanischen Basis entfernt. Werden die Schoz-Staaten wie im Sommer 2005 die Amerikaner bitten, Zentralasien zu verlassen?

Ich denke, dieses Mal wird es keine lauten antiamerikanischen Erklärungen geben. Die USA haben schon erklärt, dass sie die Meinung der Schoz zur Militärbasis nicht interessiert, sie interessiert die bilaterale Beziehung zu Kirgistan.

INTERVIEW: MARCUS BENSMANN