Weg sind sie

VERSCHWUNDEN 2014 starben nicht nur Menschen, sondern auch Dinge. Zehn Erinnerungen

Tiki-Taka 18. Juni 2014

Die einen frohlockten: Endlich hatte das langweilige Ballgeschiebe ein Ende. Die anderen weinten: Vorbei war es mit dem schönen, dem kunstvollen Fußball. Als der amtierende Welt- und Europameister Spanien am 18. Juni nach zwei krachenden Niederlagen bei der WM in Brasilien scheiterte, schien nicht nur die spanische Fußball-Hegemonie beendet. Viele Fußballfans glaubten, damit sei auch das viel beschworene Spielsystem Tiki-Taka gescheitert, vom Umschalt- und Konterfußball eingeholt.

Tiki-Tika, wie wir es kannten, gibt es derzeit nicht mehr. Dafür erleben wir mit dem FC Bayern eine neue Ära im Vereinsfußball, eine Art Tiki-Taka plus. Coach Pep Guardiola, der einst beim FC Barcelona die Old-School-Variante des Spielstils etablierte, hat sein Sabbatjahr genutzt und Tiki-Taka weiterentwickelt.

Er baute die besten Elemente aus anderen Spielstilen ein: die Schnelligkeit des Konterfußballs, ein bisschen Physis aus der alten deutschen Rumpelfußballschule und lässt die Individualisten wie Arjen Robben und Franck Ribéry Individualisten sein. Die Maschine läuft. Tiki-Taka ist tot. Es lebe Tiki-Taka plus. JENS UTHOFF

Diddlmaus 31. Dezember 2014

Diddlmaus mit Regenschirm aus gelöchertem Käse, Diddlmaus im Flugzeug, Diddlmaus auf einem Drachen oder als Zauberer – der dicke Diddl-Ordner mit meinen gesammelten Werken war der schwerste Gegenstand, den ich damals zur Schule schleppte. Ich hatte sogar das begehrte A4-Blatt Nr.13 mit echtem Loch.

Im Unterricht war ich ein mittelmäßiger Schüler. In der großen Pause aber war ich: Paddy der Sammler. Beschaffen, sortieren und prahlen, das konnte ich. Ein Blatt zu tauschen ist eine knifflige Angelegenheit. Groß ist das Risiko, beim Tausch die schlechteren Karten zu ziehen. Ich war eiskalt. Tat mit meinem engsten Tauschpartner alles, um die Serie zu vervollständigen. Über mehrere Ecken tauschen, den Wert der eigenen Blätter falsch hochreden, andere zu einem schlechten Tausch überreden. Wir wussten genau, welche speziellen Blätter andere suchten, und tauschten nur, wenn wir was doppelt hatten. Und nur, wenn jemand mehr Blätter bot. Außerdem suggerierten wir den Mitschülern gern, dass andere potenzielle Abnehmer des Blattes schon Schlange standen.

Es war eine gute Zeit. Wir waren wie die Brüder Sass.

Am Ende war es wie mit jedem Trend, er ging vorbei. Und in der 5.Klasse ergab eine Diddl-Sammlung keine große Street Credibility mehr. Ich habe alles an meine Schwester verschenkt. Und wurde ein ehrlicher Mensch. PADDY BAUER

Excalibur 8. Oktober 2014

Mehrere Tage wartete Excalibur vergebens auf Frauchen und Herrchen. Sie hatten ihm Wasser und Fressen hinterlassen. Die Balkontür stand offen. Doch weder Teresa Romero noch ihr Ehemann kamen zurück. Romero lag auf der Intensivstation in einer Madrider Klinik, und ihr Mann stand unter Quarantäne. Die Krankenschwester Romero war der erste Ebola-Infektionsfall außerhalb Afrikas.

Als am 8. Oktober endlich jemand die Wohnungstür öffnete, waren es Männer in Weiß. Excalibur wedelte nur kurz vor Freude, dann wurde er umgebracht. „Ohne zu leiden“, erklärte ein Sprecher der Madrider Gesundheitsbehörde. Das Opfer sei nötig gewesen, aus Sicherheitsgründen. Und das, obwohl es keinerlei Erkenntnisse darüber gibt, ob Hunde überhaupt an Ebola erkranken und das Virus übertragen können.

Excalibur wurde zum Symbol für eine völlig überforderte Gesundheitsbehörde. Sein Frauchen hatte sich angesteckt, als sie einen aus Afrika kommenden, an Ebola erkrankten Missionar versorgte. Im Krankenhaus Carlos III – einst eine Vorzeigeklinik in Sachen Tropenkrankheiten – fehlte es an Mitteln und ausgebildetem Personal. Eine entsprechende Abteilung für Infektionskrankheiten war geschlossen worden. Die schnelle Tötung Excaliburs sollte Entschlossenheit vermitteln, löste stattdessen aber entschlossene Proteste aus. REINER WANDLER

AfE-Turm 2. Februar 2014

Einer wie er fällt nicht einfach um. Wie eine Tänzerin, die für immer die Bühne verlässt, ließ er sein Kleid fallen, um einen kurzen Moment nackt dazustehen, gerade so, als wolle er sein Innerstes preisgeben. Dann brach er vor den Augen aller zusammen.

In ihm konnten Hunde fliegen und Menschen schweben. Und Barrikaden durften Barrikaden sein. Mr. Elfenbein war ein einsamer Bettler unter Frankfurts glanzvollen Türmen und doch so stolz und schön schroff. Er war zum Symbol für einen dreißigjährigen Ausnahmezustand der Wissenschaften geworden, den es nicht länger geben durfte. Die Gegenaufklärung war angebrochen, die Menschen nannten sie Bologna-Uni, meinten aber Gegenaufklärung. Buff, peng.

Und ich? Ich heulte. Und fühlte mich von Adorno, jenem imaginären Stammgast im Turm, ertappt, der mir nun ein letztes Mal sanft zuflüsterte, Aufklärung schlage in Mythologie zurück.

Mein fünfjähriger Sohn sagt nun immer wieder – völlig unvermittelt: „Weißt du noch, Tania, wie sie einfach deine Schule gesprengt haben? Das war gemein, oder?“

Das hat man jetzt davon. Wie bringe ich ihm bei, dass Schulen immer noch Disziplinarinstitutionen sind? Und dass man ihretwegen nicht weint. TANIA MARTINI

werkenntwen 1. Juni 2014

Wir sagen: Auf Wiedersehen!

Lieber Sebastian,

wie bereits angekündigt, steht werkenntwen nur noch wenige Tage zur Verfügung. Nach Ablauf des 1. Juni 2014 wird die Plattform nicht mehr online sein und der Geschäftsbetrieb eingestellt.

Für die Nutzung von werkenntwen und deine Verbundenheit möchten wir uns herzlich bei dir bedanken. Für viele von uns war werkenntwen „Heimat im Netz“: Der Kontakt zu anderen wkwlern, über 2 Millionen Gruppen und Funktionen, wie die Vereine, Tier- und Fahrzeugprofile, sind für viele zu einem festen Bestandteil in der täglichen Kommunikation mit Freunden und Bekannten geworden. Wir danken dir, dass du zu dieser besonderen Gemeinschaft im Internet beigetragen hast.

Für das gesamte wkw-Team neigt sich ebenfalls eine großartige Zeit dem Ende zu, in der wir jeden Tag aufs Neue mit Engagement und Freude an der Weiterentwicklung unseres sozialen Netzwerks gearbeitet haben. Wir bedanken uns auch bei unseren Kooperationspartnern, Werbekunden, Dienstleistern und allen, die werkenntwen möglich gemacht haben.

Dein Profil und die Inhalte auf werkenntwen werden wir löschen, sobald werkenntwen offline ist. Falls du deine Profilinhalte noch nicht gesichert hast, starte am besten jetzt gleich den Export deiner Daten und speichere deine Fotos, Kontakte und Nachrichten auf deinem Rechner. Wie die Exportfunktion funktioniert und alles Wichtige zur Schließung von werkenntwen haben wir dir auf unserer Infoseite zusammengestellt.

Für die verbleibenden Tage bis zum 1. Juni 2014 wünschen wir dir eine schöne Zeit mit deinen Leuten auf werkenntwen. newsletter@wer-kennt-wen.de

Windows XP 8. April 2014

Microsoft hatte den Tod lange angekündigt. Und tatsächlich gibt es seit dem 8. April keinerlei Updates mehr für Windows XP. Wie Untote leben seitdem Rechner mit diesem Betriebssystem unter uns, in Schulen und Verwaltungen, beim Nachbarn, vielleicht sogar in der Wohnung des besten Freundes.

Im besten Fall liegen sie nur in irgendeiner Ecke rum und verstauben, im schlechtesten Fall hängen sie im Internet, verbreiten Spam und Malware, und wenn ihr Nutzer auch noch Onlinebanking macht, kann man getrost Wetten darüber abschließen, wann sein Konto restlos leer geräumt wird.

Die Liebe der Nutzer zu dem Betriebssystem hat offenbar trotzdem kaum Schaden genommen. Darüber hinaus haben gewerbliche Anwender, Betreiber von Geld- und Fahrkartenautomaten, von Verwaltungen und Unternehmen die seit Jahren andauernden Ankündigungen von einem Ende des Supports, deren Umsetzung immer wieder verschoben wurde, anscheinend überhaupt nicht ernst genommen.

Das jedenfalls kommt Microsoft sicher nicht ganz ungelegen: Denn Großkunden können einen verlängerten Support bekommen. Kostenpflichtig selbstverständlich. Neues Elixier für Zombies. SVENJA BERGT

How I met your mother 27. August 2014

Liebe Robin, liebe Lily, lieber Ted, lieber Marshall und lieber Barney,

mit euch habe ich in diesem Jahr fünf Freunde verloren. Es war kein überraschender, aber ein schmerzvoller Abschied. Eigentlich müsste ich längst abgehärtet sein. Als die Crew der Enterprise oder die Cliquen diverser Teenagerserien mich verließen, konnte ich das noch leicht verkraften, da die Freundschaft zum Todeszeitpunkt ohnehin schon abgekühlt war. Aber die „Friends“-Gruppe? Oder die „Six Feet Under“-Familie? Das waren herbe Verluste. Und trotzdem habe ich es mit euch 2008 noch mal versucht.

Ted, unsere Freundschaft war stets ambivalent. Einerseits habe ich dir immer gewünscht, dass du bald deine Traumfrau triffst – andererseits wusste ich, dass dies das Ende (für die Serie und damit für unsere gemeinsame Zeit) bedeuten würde. Im August dieses Jahres war es dann nach neun Staffeln so weit: Es kam alles ein bisschen trauriger und konfuser als erwartet, doch es war ein würdiges Finale – der richtige Mix aus erstaunlichen Entwicklungen und einem Festhalten an Bewährtem.

Fehlen werden mir jetzt vor allem die zahlreichen Running Gags, die Witze und Anspielungen, die für Außenstehende komplett unlustig sind, für Eingeweihte aber ein verlässlicher Quell der Freude (Slapsgiving! Robin Sparkles!). Gewiss ließe sich das Vergnügen durch das Schauen alter Folgen irgendwie aufrechterhalten – doch das würde unserer Beziehung auf die Dauer vermutlich den Charakter einer Freundschaft verleihen, die nur noch von der Erinnerung an die „guten alten Zeiten“ lebt. Ich werde mir neue Serienfreunde suchen müssen, die mich begleiten. Ob Francis Underwood, seine Gattin und ich uns vielleicht mögen würden?

Ich werde euch immer vermissen! Danke für den Spaß, den Irrsinn und die großen Gefühle!

Euer ANDREAS KÖHNEMANN

Kontonummer/BLZ 1. Februar 2014

So viel Verkehr lief über euch, ihr kanntet alle Namen / Ward über vier Dekaden lang Referenz und Bezugsrahmen / Als Mittler gabt euch wertneutral, nahmt Schmiergeld und auch Spenden / Motive waren euch egal, der Auftrag, der war „senden“ / Moral – nicht euer stärkster Wert, auch deshalb nun das Ende? / Ihr passt halt nicht in die EU, zu viele treue Hände / Mit Iban kommt ein neuer Start, denn Iban schafft Vertrauen / Hierauf und auf den Rettungsschirm können wir sehr bald bauen / Doch wer genau ist, sieht ganz schnell, ihr steckt noch im Detail / Das gute Banken-Leitsystem ist längst noch nicht vorbei / Das Fundament ist altbewährt, nur Wein in neuem Schlauch? / Ach was, der Auslandszahlverkehr ist sicher vor Missbrauch. STEFANIE SCHMIDT